Wächst das Gras im Frühling in die Höhe, ist das nicht immer ein Grund zur Freude. Auf dem Golfplatz markieren hohe Halme das sogenannte Rough und damit unwegsames Gelände, auf dem sich der Ball kaum oder nur mit geringem Erfolg spielen lässt. Deutlich anders ist die Lage da schon auf dem geschnittenen Rasen. Um dort einen Abschlag erzielen zu können und damit den Weg für ein aktives Spiel zu ebnen, wird dieses Terrain Grashalm für Grashalm gehegt und gepflegt.
Von einem gepflegten Rasen, der ein barrierefreies Spiel ermöglicht, ist der Pharmastandort Europa weit entfernt. Europa als Kontinent und teilweise als Staatenbund mit all seinen unterschiedlichen Regeln, Normen und Partikularinteressen ähnelt viel mehr einer wildgewachsenen Weide, die mit großem Eifer kultiviert wird.
Die Pharma Legislation droht zum Dünger dieses Wildwuchses zu werden und verspricht bei dem, was bisher publik wurde, ein Mehr an Regularien und Hindernissen, anstatt Europa durch ausgewogene Regularien zu stärken. Es besteht die Gefahr, dass sie ihr eigenes Ziel verfehlt, nämlich ein zukunftssicheres und krisenfestes EU-Arzneimittelsystem zu etablieren.
Bisher sicherte die pharmazeutische Industrie 2,5 Millionen Arbeitsplätze in der gesamten Union und trug mit jährlichen Investitionen von 42 Milliarden Euro in die europäische Forschung und Entwicklung mehr zur Handelsbilanz der EU bei als jeder andere Sektor. Inwieweit das auch in Zukunft möglich sein wird, hängt mit den Rahmenbedingungen zusammen. Dieses „Framework“ bildet die erwähnte Pharma Legislation, die nun überarbeitet wird und am 26. April von der Europäischen Kommission als Vorschlag veröffentlicht werden soll.
Durch die bisher durchgesickerten Hindernisse wird es wohl für die pharmazeutische Industrie immer schwieriger, „den Ball zu spielen“, also beispielsweise am Standort Europa neue Therapien zu entwickeln, Arbeitsplätze zu schaffen, in Forschung und Entwicklung zu investieren und damit einen Beitrag zur Wettbewerbsfähigkeit Europas zu leisten.
Auch im Kampf gegen Antibiotikaresistenzen und seltene Erkrankungen bietet das Rechtskonstrukt mehr Ernüchterung als Anreize. Ebenso wenig umsetzbar scheint die enthaltene Regelung für die Arzneimittelversorgung, nach der Unternehmen bereits ein halbes Jahr im Vorhinein mögliche Engpässe bekannt geben sollen. Fast scheint es so, als hätte Europa mehr Freude an der Erstellung von Regelungen als an der Lösung von Problemen.
Man muss keine Glaskugel besitzen, um zu erahnen, was als nächstes kommen wird. Der Blick jener pharmazeutischen Unternehmen, die eigentlich am Standort Europa tätig sein wollen, werden sich jenen „Rasenflächen“ der Welt zuwenden, auf denen das Gras sprichwörtlich „grüner“ ist und die Rahmenbedingungen besser sind. Länder wie China, Indien und die USA werden weiter gestärkt werden und Europa damit deutlich geschwächt. So wäre der in den letzten Jahren vielfach geäußerte Plan gescheitert, Life Sciences-Unternehmen wieder zurück nach Europa zu holen.
Es ist daher an der Zeit, zu entscheiden, in welcher Art von Europa wir leben wollen. Wollen wir ein globaler Standort für Forschung, Entwicklung und Herstellung von Arzneimitteln sein? Oder möchten wir lieber von medizinischen Innovationen und Produkten aus anderen Regionen abhängen? Diese Folgen abzusehen, Weckrufe zu ignorieren und zu warten, bis Gras über diese Entscheidung gewachsen ist, wäre fatal für Europas Zukunft als Pharmastandort.