Wenn Erkrankungen nur wenige Menschen betreffen, macht das die Entwicklung von Medikamenten gegen ihr Leiden sozusagen zur Suche nach dem Stein der „Waisen“. Konnte man bis zum Jahr 2000 im Zusammenhang mit Seltenen Erkrankungen tatsächlich noch von geradezu „verwaisten“ Krankheiten sprechen, hat sich seit der Einführung von Anreizen für Orphan Drugs einiges getan: an die 180 Medikamente stehen heute in der EU zur Behandlung von spezifischen Krankheitsbildern, die weniger als fünf von 10.000 Menschen in der Union betreffen, zur Verfügung.
Die pharmazeutische Industrie macht also mit Forschung und Entwicklung immer mehr der rund 8.000 Seltenen Erkrankungen behandelbar. Auch im Corona-Jahr 2020 erhielt die Orphan-Drug-Familie Zuwachs denn 22 neue Therapien wurden letztes Jahr zugelassen. Darunter eine Kombinationstherapie zur Behandlung von Cystischer Fibrose, mit der 70% der Patientinnen und Patienten erstmals eine ursächliche Therapie ihrer Krankheit ermöglich wird. Weitere vier Zulassungen stellen überhaupt erste zielgerichtete Therapiemöglichkeiten für einzelne Erkrankungen auf den Gebieten Hämatologie, Infektionen und Stoffwechsel dar.
Die Förderung der Medikamentenentwicklung für Seltene Erkrankungen ist eine Erfolgsgeschichte. Die seit 2000 existierende Orphan-Drug-Regulation sorgt dafür, dass weiterhin an zahlreichen Forschungsprojekten gearbeitet wird. Die Anreize umfassen eine 10-jährige Marktexklusivität, die über einen mehrmaligen Nutzenbeweis hart verdient sein will, reduzierte Zulassungsgebühren – was vor allem für Biotech-Unternehmen hilfreich ist oder die Möglichkeit zur wissenschaftlichen Beratung durch die EMA.
Die EU, Urheberin der Förderung, stellt das Programm derzeit zur Diskussion – nach 20 Jahren ist das durchaus legitim. Als Verband haben wir unsere Einschätzung im Zuge der öffentlichen Kommentierung bereits eingereicht. Uns ist wichtig, den bisher konstruktiven und ganzheitlichen Ansatz, der die nachhaltige Entwicklung innovativer Therapien für einen ungedeckten medizinischen Bedarf fördert, beizubehalten.
An Brisanz gewinnt das Thema eines zeitnahen und gleichberechtigten Zugangs der Patienten innerhalb der EU. Gerade dann nämlich, wenn die Sorgen einiger Mitgliedsstaaten um die Nachhaltigkeit ihres Gesundheitsbudgets derzeit wichtiger scheinen als das gemeinsame Ziel einer EU-Agenda für Wissen, Innovation, Wettbewerbsfähigkeit und Attraktivität zur Unterstützung der Bedürfnisse von Menschen mit seltenen Krankheiten. Wenn es aber schon eine Lehre aus der gegenwärtigen Krise gibt, dann die, dass ein besser funktionierendes, integriertes Europa im Gesundheitsbereich notwendig ist, wenn man einer gemeinsamen Herausforderung gegenübersteht.