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Rascher Zugang zu Innovationen muss erhalten bleiben!

Rascher Zugang zu  Innovationen muss  erhalten bleiben!

Zulassungsverfahren für neue Therapien sollen effizienter und einheitlicher werden, das wünscht sich die EU für ihre Mitgliedsstaaten und Österreich für seine Bundesländer. Aber wird dies durch den eingeschlagenen Weg mit EU-HTA und zusätzlich einem Bewertungsboard auf nationaler Ebene gewährleistet? Eine Bestandsaufnahme.

Text: Nicole Gerfertz Schiefer - PHARMIG info 1/2024 

Gemeinsame klinische Bewertung soll Doppelgleisigkeiten vermeiden

2025 tritt die EU-Verordnung zum Health Technology Assessment (HTA) in Kraft, die den Zugang zu neuen Therapien verbessern und EU-weit harmonisieren soll. Das EU-HTA erstellt eine vergleichende Nutzenbewertung von Arzneimitteln, diese sollen ein sogenanntes Joint Clinical Assessment (JCA) durchlaufen. Dieses EU-weite Bewertungsverfahren befasst sich – parallel zum Zulassungsprozess der EMA – mit den klinischen Aspekten, bewertet einen Zusatznutzen aber nicht und beinhaltet vor allem keine Erstattungsentscheidung. Ziel des JCA ist es, Doppelbewertungen zu vermeiden und HTA-Prozesse auf nationaler Ebene effizienter zu gestalten. 

Lokale HTAs der Mitgliedsstaaten übernehmen die Bewertung des Zusatznutzens und führen gegebenenfalls eine Kosteneffektivitätsanalyse für Erstattungsentscheidungen durch. Die Ergebnisse des JCA sollen dabei angemessen berücksichtigt werden. Entscheidungen über Beschaffung, Preis, Anwendung und Erstattung bleiben von der klinischen Bewertung unberührt. Sie stellen keine nationalen HTAs dar, sondern sind diesen nachgelagert, finden aber ebenfalls auf nationaler Ebene statt.

Die verpflichtende Einreichung für ein EU-HTA von Arzneimitteln beginnt ab 2025. Den Anfang machen neue onkologische Arzneimittel sowie Zell- und Gentherapien, gefolgt von Orphan Drugs ab 2028 und allen anderen ab 2030.1 Auch wenn die Umsetzung der Verordnung in den Jahren 2025 bis 2027 zunächst nur Therapien betrifft, die hauptsächlich im stationären Bereich angewendet werden, sind die Verpflichtungen der EU-HTA-Verordnung auch für den extramuralen Bereich und somit außerhalb der Krankenhäuser ab dem Zeitpunkt des Inkrafttretens relevant.

Bewertungsboard in Österreich: Barriere oder Brücke?

Im Dezember 2023 wurde in Österreich beschlossen, ein weiteres Bewertungsverfahren einzuführen: Das Bewertungsboard soll den Zugang zu innovativen Therapien im Spitalsbereich sowie zu Nahtstellenprodukten im intra- und extramuralen Bereich in allen Bundesländern vereinheitlichen. 
Die Empfehlungen des Bewertungsboards beziehen sich  auf den medizinischen Zusatznutzen in Zusammenschau mit der Wirtschaftlichkeit und sollen Anwendungs- bzw. Nicht-Anwendungskriterien sowie Begleitmaßnahmen enthalten.

Die Empfehlungen des Boards gelten als Sachverständigengutachten hinsichtlich der medizinischen Bewertung und sind von den Arzneimittelkommissionen in den Krankenhäusern anzuwenden. Das Bewertungsboard selbst setzt sich aus 25 Mitgliedern zusammen. Vertreter:innen von HTA-Institutionen und zusätzliche wissenschaftliche Expert:innen sind erforderlichenfalls beizuziehen. Bei Abstimmungen zu Produkten im intramuralen Bereich haben 
Vertreter:innen von Dachverband und Sozialversicherungsträger nur beratende Funktion ohne Stimmrecht. 

Das Bewertungsboard an sich und seine Zusammensetzung im Besonderen sind u.a. bei Ärzteschaft als auch Patientenvertretungen auf teils heftige Kritik gestoßen. Befürchtet wird eine zu starke Ausrichtung nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten und eine zeitliche Verzögerung beim Zugang von Betroffenen zu innovativen Therapien. 

Kritisiert wird auch das Fehlen von spezifischem Fachwissen im Bewertungsboard, insbesondere vor dem Hintergrund, dass die Empfehlungen als Sachverständigengutachten in Bezug auf pharmaökonomische Bewertungen gelten. Es wird bemängelt, dass wissenschaftliche Expert:innen nur „erforderlichenfalls“ beigezogen werden sollen.

EU-HTA und Bewertungsboard: Braucht es beide Bewertungsschienen?

Interview mit Univ.-Prof. Dr. Karl Stöger, Medizinrechtsexperte am Institut für Staats- und Verwaltungsrecht der Universität Wien (aus: PHARMIG info 1/2024)

EU-HTA und Bewertungsboard: Wer bewertet jetzt was?

Karl Stöger: EU-HTA und Bewertungsboard hängen inhaltlich zwar zusammen und werden zeitlich nah beieinander eingeführt, sind aber zwei unterschiedliche Aspekte. Hintergrund für die Einführung der EU-HTA-Verordnung ist, dass die Bewertung neuer Therapien bisher in den verschiedenen Staaten auf unterschiedliche Weise erfolgt. Dies soll mit den EU-HTA-Empfehlungen vereinheitlicht werden, um den EU-Staaten, aber auch den Pharmaunternehmen diesen Prozess in jedem Land zu ersparen. Die nationalen Entscheidungen der einzelnen Staaten können aber von der EU-HTA-Empfehlung abweichen.

Eine etwas andere Vorgeschichte hat das Bewertungsboard in Österreich. Hier gibt es mit dem Erstattungskodex für den niedergelassenen Bereich bereits ein einheitliches System, was erstattet wird, und im Spital entscheidet das medizinische Personal, welches Medikament zum Einsatz kommt, zudem gibt es in jedem Krankenhaus die Arzneimittelkommission. Doch in der Vergangenheit kam es zu erheblichen Unterschieden, z. B. je nach Bundesland oder Krankenanstaltenträger, welche Medikamente eingesetzt wurden, was auch zu Gerichtsprozessen geführt hat. Daher versucht der Gesetzgeber mit dem Bewertungsboard Empfehlungen für den Spitalsbereich sowie für die Schnittstelle Krankenhaus/niedergelassener Bereich zu geben. Diese Empfehlungen sollen auch die wirtschaftliche Dimension berücksichtigen.

Braucht es wegen der EU-HTA-Verordnung das Bewertungsboard? 
Nein. Die EU-HTA-Verordnung verlangt keine neuen Bewertungsprozesse, wo es bisher noch keine gab, sondern nur, dass bestehende Bewertungsprozesse vereinheitlicht werden. Neue müssen nicht, können aber geschaffen werden. Das neue Bewertungsboard wird Prozesse durchführen, die einem nationalen HTA entsprechen, und Empfehlungen abgeben. Es ist aber nicht das einzige Gremium mit HTA-Aufgaben in Österreich.

Zur Kritik am Bewertungsboard ist zu sagen, dass es beim Bewertungsboard um eine Vereinheitlichung der Therapiewahl geht, nicht um eine Einschränkung. Die Letztentscheidung über die Therapie treffen im Spital nach wie vor die Arzneimittelkommission und das medizinische Personal. Es gilt weiterhin, dass der Einsatz von Arzneimitteln im Krankenhausbereich am Stand der Wissenschaft erfolgen und dabei die gemeinsame klinische Bewertung des EU-HTA berücksichtigt werden muss und diese nicht auf nationaler Ebene ignoriert werden kann.

Ist aus Ihrer Sicht die Umsetzung der EU-HTA-Verordnung in Österreich ausreichend geregelt? 
Die EU-HTA-Verordnung ist ab 2025 unmittelbar anwendbar, d. h. die gemeinsame klinische Bewertung ist dann europarechtlich verpflichtend. Die Verordnung lässt aber offen, welche nationalen Einrichtungen für die Anwendungen der HTA-Bewertungen zuständig sind. Das heißt, es ist derzeit nicht geregelt, was in Österreich eine nationale HTA ist und wer die Ansprechpartner für EU-HTA sind. Hier könnte der österreichische Gesetzgeber Regelungen treffen, welche Prozesse wie ablaufen sollen. Das würde Klarheit schaffen.

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