Interview mit Natalie Moll (efpia): „Wir brauchen innovative Therapien“
Nathalie Moll, Generaldirektorin des Europäischen Verbands der pharmazeutischen Industrie EFPIA, spricht im Interview über die künftigen Herausforderungen und Potenziale für die Pharmaindustrie und letztlich für die Patientenversorgung.
Frau Moll, was sind für die EFPIA die Meilensteine für 2019?
Moll: 2019 kommen auf die Pharmaindustrie eine Reihe von Ereignissen zu, die uns hochgradig betreffen – nicht zuletzt Großbritanniens Austritt aus der EU im März und die Europawahlen im Mai. Im Zuge der Brexit-Verhandlungen hat für uns Priorität, eine ununterbrochene Versorgung mit Medikamenten für britische und EU-Patienten sicherzustellen und uns für alle Austrittsszenarien, einschließlich eines „No Deal“, vorzubereiten. Auf Europaebene werden wir gegenüber dem neuen EU-Parlament und der neuen EU-Kommission jedenfalls die großen aktuellen Herausforderungen angesichts einer alternden Bevölkerung und steigender Zahlen bei chronischen Erkrankungen herausstreichen. Wir brauchen innovative Therapien gegen Demenz, Krebs und Herz-Kreislauf-Erkrankungen und müssen daher sicherstellen, dass Europa weiterhin Investitionen in Forschung und Entwicklung anzieht – etwa mit einem stabilen Rechtsrahmen auf geistiges Eigentum.
Wo sehen Sie die größten Herausforderungen für die Pharmaindustrie?
Moll: Entscheidende Bedeutung für die Pharmaindustrie hat der Schutz geistigen Eigentums inklusive der Ergänzenden Schutzzertifikate (SPC). Sie sind das Fundament, das sicherstellt, dass Europa ein Motor für medizinische Innovationen bleibt. Unmittelbar beschäftigt uns der Verordnungsentwurf der EU, der Ausnahmeregelungen für die Herstellung von Arzneimitteln, für die ein SPC gilt, vorsieht. In den kommenden Wochen konzentrieren wir uns darauf, sicherzustellen, dass die Umsetzung einer solchen Ausnahmeregelung die Rechte des geistigen Eigentums nicht weiter untergräbt. Was bedeutet, dass die Ausnahme nur für Arzneimittel gilt, die außerhalb der EU exportiert werden, dass vor Ablauf des SPC kein Vorrat des Arzneimittels für den Gebrauch in der EU angelegt werden kann und dass es auch keine rückwirkende Umsetzung gibt [Stand zum Redaktionsschluss]. Weiters würden wir es sehr begrüßen, wenn der aktuelle Vorschlag der EU-Kommission zur gemeinsamen klinischen Bewertung von Gesundheitstechnologien (HTA) umgesetzt wird. Dies würde im Interesse der Patienten doppelte Arbeit verringern und die Qualität der Beurteilung eines neuen Medikaments verbessern.
Wo liegen vielversprechende Potenziale?
Moll: Europäische institutionelle Partnerschaften wie die Innovative Medicines Initiative (IMI) stellen ein ganz neues Modell der Zusammenarbeit dar, das eine einzigartige europäische Besonderheit ist. Nachfrage- und Angebotsseite, Regulierungsbehörden und Regulierte, Enabler und Gatekeeper, die in das Kontinuum von Gesundheit, Forschung und Pflege eingebunden sind, arbeiten gemeinsam daran, Grundlagenforschung in Lösungen für Patienten zu verwandeln. Wir haben dieses Konzept erfolgreich getestet und fordern nun einen rechtlichen Rahmen für diese öffentlich-privaten Partnerschaften, um die gesundheitlichen Herausforderungen der Zukunft zu bewältigen.
Welches sind in naher Zukunft die wichtigsten Innovationen in Forschung und Therapie? Moll: Wir befinden uns in einer aufregenden Ära rasant fortschreitender Wissenschaft. Mit derzeit über 7000 in Entwicklung befindlichen Medikamenten werden wir die Patientenversorgung und die Art und Weise, wie Krankheiten behandelt werden, in vielen Bereichen völlig umgestalten. Dies ist vor allem auf Entwicklungen in Biologie, Biotechnologie und Medizin, auf das Aufkommen von Big Data und Predictive Analytics, auf Fortschritte in der Genomik und auf Patienten zugeschnittene Behandlungslösungen zurückzuführen. Wir erwarten eine Innovationswelle bei allen Krankheiten: von Arzneimitteln, die auf Genen, Zellen oder Geweben basieren und bahnbrechende neue Möglichkeiten zur Behandlung von Krankheiten bieten, über Kombinationstherapien in der Onkologie und therapeutische Impfstoffe bis hin zu antibakteriellen monoklonalen Antikörpern im Kampf gegen antimikrobielle Resistenz.
Ist die digitale Transformation für F&E und das Gesundheitswesen eher Hemmschuh oder Chance?
Moll: Digitale Tools sind mächtige Werkzeuge, um die Entwicklung innovativer Therapien voranzutreiben, aber auch um Gesundheitssysteme effizienter und patientenorientierter zu gestalten. Durch die Digitalisierung des Gesundheitswesens wird die verfügbare Datenmenge erheblich erhöht, einschließlich der von Patienten erzeugten Daten von Sensoren und Apps. Diese Daten sind für Forschung, Diagnose und personalisierte Medizin wertvoll. Schon jetzt können etwa Programme für Bildanalyse zuverlässiger als das menschliche Auge verschiedene Krebsarten besser und schneller erkennen. Es gibt aber eine Reihe von Hindernissen, die wir gemeinsam lösen müssen. Datenzugriff und -analyse werden oft durch unterschiedliche Standards zum Speichern von Daten erschwert. Und die Systeme müssen so konzipiert sein, dass Patienten darauf vertrauen können, dass ihre Daten geschützt und nicht missbraucht werden. Wir brauchen einen gemeinsamen Rahmen für den Umgang mit diesen neuen Daten. Weiterzumachen wie bisher ist keine Option, denn die Digitalisierung des Gesundheitswesens ist auf jeden Fall im Gange.