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Zulassungsverfahren für Arzneimittel in Europa modernisieren

  • NEWS
  • 15.04.2025

Wie ein intensiverer Austausch zwischen Behörden und Unternehmen, zusätzliches Personal und erhöhte finanzielle Ressourcen den Zugang zu Medikamenten in der EU beschleunigen können.

Wien, 15. April 2025 – Die Europäische Kommission hat vor zwei Jahren die größte Reform des EU-Arzneimittelrechts seit über zwei Jahrzehnten angestoßen. Ein Ziel der Revision ist es, den Zugang der Patientinnen und Patienten zu Arzneimitteln zu beschleunigen. Der Entwurf sieht vor, behördliche Strukturen zu verschlanken und regulatorische Prozesse flexibler und effizienter zu gestalten. Inwiefern die US-amerikanischen Zulassungsverfahren hierfür als Vorbild dienen können, wurde kürzlich von Expertinnen und Experten bei einer Diskussionsveranstaltung der PHARMIG thematisiert.

„Wir haben es hier mit zwei komplett unterschiedlichen Ansätzen zu tun“, erklärt Angelika Joos, Executive Director im Bereich Science & Regulatory Policy bei MSD in Brüssel, gleich zu Beginn ihrer Keynote, in der sie darauf eingeht, wie sich die Zusammensetzung beider Behörden sowie die Zulassungsverfahren für Arzneimittel in den USA und Europa unterscheiden. Grundsätzlich umfasst der Zulassungsprozess in beiden Regionen mehrere Schritte, darunter die Einreichung eines vollständigen Antrags, der Daten zur pharmazeutischen Qualität sowie präklinische und klinische Studiendaten enthält. Diese Daten werden von den zuständigen Behörden gründlich geprüft, bevor über eine Zulassung entschieden wird. Allerdings gehen hier die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA) und die US-amerikanische Food and Drug Administration (FDA) jeweils unterschiedlich vor.

„Die EMA arbeitet als Netzwerkagentur mit Expertinnen und Experten aus 30 EWR-Ländern und EU-Institutionen zusammen, während die FDA als zentrale Behörde agiert. Die FDA steht bereits vor dem Verfahren mit dem Antragsteller in Kontakt und überprüft während des Zulassungsverfahrens fortlaufend die eingereichten Daten, um einen kontinuierlichen Evaluierungsprozess zu gewährleisten. Die EMA verfolgt einen strukturierten Prozess mit sogenannten 'Clock Stops', bei denen die Behörde gegebenenfalls die Evaluierung des Medikaments pausiert, bis zusätzliche Informationen vom Antragsteller vorliegen", erklärt Joos. Diese Vorgehensweise beeinflusst die Gesamtdauer der europäischen Verfahren. Außerdem verwendet die FDA wesentlich häufiger den Prozess des beschleunigten Verfahrens (Break Through), während die EMA strengere Rahmenbedingungen für die sogenannte Accelerated Verfahren (beschleunigte Verfahren) hat.

„Die pharmazeutische Forschung schreitet immer schneller voran und bringt zunehmend komplexere und innovativere Produkte hervor. Deren sorgfältige Überprüfung im Sinne der Sicherheit der Patienten erfordert Zeit, auch für die Antragsteller selbst, damit noch notwendige, aufgetauchte Fragen beantwortet oder fehlende Daten nachgeliefert werden. Im Lauf der letzten 10 Jahre haben die Firmen daher immer häufiger eine Verlängerung der Clock Stop-Perioden beantragt, sodass diese 2022 im Durchschnitt erstmals sogar länger waren als die aktive Assessment-Phase durch die Behörden selbst. Im Vergleich zu den USA haben wir durch die Organisationsstruktur der über 50 europäischen Zulassungsbehörden und der europäischen Arzneimittelbehörde EMA einen viel größeren Koordinationsaufwand. Dazu kommt, dass wir in Europa auch deutlich geringere personelle und finanzielle Ressourcen haben und einen ganz anderen Handlungsspielraum“, hält DI Dr. Günter Waxenecker, MDRA, Geschäftsfeldleiter der AGES-Medizinmarktaufsicht in Österreich, fest. 

So hat die FDA im Arzneimittelzulassungsbereich im weiteren Sinn an die 10.000 Mitarbeiter und ist durch eine zentralistische Arbeitsweise mit der historisch gewachsenen, dezentralen Struktur in der EU nicht zu vergleichen. Letztere bietet dafür einen hohen Austausch an wissenschaftlicher und auch regulatorischer Expertise und diese wird, mit der neuen EU-Pharmagesetzgebung, jedenfalls noch effizienter für Zulassungsverfahren genutzt werden.   

Als weiterer Experte nahm PHARMIG-Präsident DI Dr. Bernhard Wittmann an der Veranstaltung teil. Er hält fest: „Behörden und Industrie, wir sitzen alle in einem Boot. Das heutige Zulassungssystem der EU wurde vor 30 Jahren etabliert. Es ist in unserem gemeinsamen Interesse, es an die Herausforderungen der heutigen Zeit anzupassen. Der Entwurf zur Revision der EU-Arzneimittelgesetzgebung lässt hier durchaus ein ernstes Bemühen erkennen, die Rahmenbedingungen für die pharmazeutische Industrie zu verbessern.“ Gleichzeitig seien, so Wittmann, die im Entwurf genannten Auflagen für pharmazeutische Unternehmen, wie etwa die verpflichtende Marktverfügbarkeit in allen Mitgliedsstaaten, nicht im gewünschten Sinne zielführend. Außerdem kämen in Europa ständig neue Regelungen dazu, wie zum Beispiel in jüngster Zeit die Kommunale Abwasserrichtlinie oder Verpackungsverordnung. Weg falle hingegen nichts an jemals beschlossenen Regelungen. So könne die Industrie nicht entlastet werden und auf lange Sicht nur sehr schwer dazu beitragen, Europa wettbewerbsfähig zu machen und den Menschen den Zugang zu Arzneimitteln zu ermöglichen. 

Beatrix Linke, Country Lead von IQVIA in Österreich, erläutert, dass es für einen schnelleren Zugang nötig sei, auch Bewertungs- und Erstattungsprozesse, die nach der europäischen Zulassung stattfinden in der EU zu harmonisieren. „Eine schnelle Zulassung gewährleitstet allein nicht, dass Patientinnen und Patienten schnell mit neuen Arzneimitteln versorgt werden“, so Linke. Die Finanzierung durch die Kostenträger ist in Europa Ländersache, was innerhalb der 27 Mitgliedsstaaten zu gravierenden Unterschieden im Zugang zu Arzneimitteln führt. „Das bedeutet, dass Arzneimittel in einigen Ländern zu unterschiedlichen Zeiten oder überhaupt nicht erhältlich sind. In Ungarn kommt beispielsweise ein Produkt erst für eine Erstattung durch den Kostenträger in Frage, wenn es in mindestens drei anderen Ländern des europäischen Wirtschaftsraums bereits erstattet wird, während in Deutschland mit der Erteilung der Zulassung auch automatisch die Erstattung für die ersten sieben Monate gewährleistet ist, erläutert Linke. 

DI Dr. Stefan Gara, Sprecher für Wissenschaft, Energie, Klimaschutz, Gesundheit und Digitalisierung der NEOS Wien, betonte in seinem Statement die Bedeutung der europäischen Wettbewerbsfähigkeit im globalen Innovationsrennen: „Die EU steht im intensiven Wettbewerb mit anderen Weltregionen, wenn es darum geht, neue Produkte als Erste auf den Markt zu bringen. Innovationsfreundliche Rahmenbedingungen sind hier gefragt, denn unsere Wettbewerbsfähigkeit steht auf dem Spiel.“ 

Laut Gara forsche man in Europa, um Wissen zu vertiefen. In den USA gehe es stärker um die praktische Anwendung. Dadurch ist der Zulassungsprozess dort deutlich praxisnäher an den Anforderungen innovativer Entwicklungen orientiert. Gara: „Die USA zeigen, wie entscheidend es ist, Innovationsprozesse effizient zu gestalten und zu beschleunigen. Europa hingegen verfügt über ein Netzwerk exzellenter Forschungsinstitutionen. Jetzt müssen wir entscheiden, welche Innovationskultur wir fördern wollen – und welche Rahmenbedingungen wir dafür schaffen. Deshalb müssen zentrale Reform- und Gesetzesvorhaben auch einem ‚Competitiveness Check‘ unterzogen werden.“ 

Rückfragehinweis
PHARMIG – Verband der pharmazeutischen Industrie Österreichs
Head of Communication & PR
Peter Richter, BA MA MBA
+43 664 8860 5264
peter.richter@pharmig.at
www.pharmig.at

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