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Wohl und Weh in der Krebsversorgung

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  • 04.05.2017

Die Herausforderungen, Krebspatienten am richtigen Ort zum richtigen Zeitpunkt zu behandeln und Vorsorgeprogramme erfolgreich zu implementieren, darüber sprachen Experten aus dem Gesundheitsbereich

Wien, 4. Mai 2017 – Unterversorgung des Systems, Fachkräftemangel, gleichzeitig erfreuliche Tendenzen bei Überlebensrate und Neuerkrankungen – wo die Gründe für diese scheinbaren Gegensätze in der Krebsversorgung liegen und wie selbige in Zukunft weiter verbessert werden kann, stand im Zentrum des Health Care Symposiums „Onkologische Versorgung in Österreich – heute, morgen, übermorgen“ der Pharmig Academy. Experten aus Ärzteschaft, Forschungseinrichtungen, Behörden, Ministerium, Patientenvertretung und pharmazeutischer Industrie analysierten und diskutierten mitunter kontrovers über die derzeitigen und zukünftigen Herausforderungen in der Versorgung von Krebspatienten. Moderiert wurde die Veranstaltung von Dr. Vera Russwurm.

Prof. Dr. Ulrich Jäger, Leiter der Klin. Abteilung für Hämatologie und Hämostaseologie der Univ.-Klinik Innere Medizin I an der Medizinischen Universität Wien sowie Past President der European Hematology Association, eröffnete den Seminartag mit einer Key Note über den Status Quo der Krebsversorgung in Österreich: bessere Versorgung lässt die Anzahl an Krebsneuerkrankungen sinken, während es immer mehr Menschen mit der Diagnose Krebs gibt, weil die Diagnosemöglichkeiten besser werden und weil Betroffene heute immer länger leben bzw. auch mehr Überlebenschancen haben als früher.

Pro Patient werden laut Jäger die Leistungen im Zuge der Krebsbekämpfung mehr, während die Krankenhausaufenthalte sinken – immer mehr werden heute ambulant versorgt. Dadurch ändern sich die Kostenverhältnisse bei den zuständigen Einrichtungen: Krankenkassen zahlen für Behandlungen im niedergelassenen Bereich, Spitalsträger für jene in den Spitälern. Auch die Themen Ärztemangel und Ärztearbeitszeitgesetz sprach Jäger an. Mit den Worten „Wir müssen das Loch stopfen zwischen dem, was wir können und dem, was dem Patienten letztlich auch zur Verfügung steht“, schloss er seinen Vortrag.

In der anschließenden Podiumsdiskussion beklagte Gesundheitsökonom Dr. Ernest G. Pichlbauer die mangelhafte Datenlage in Österreich, weil das Krebsregister nicht konsequent genug geführt werde. Für MR Dr. Magdalena Arrouas, Leiterin der Sektion III im BMGF, gab es hier aber bereits deutliche Verbesserungen in den letzten Jahren. Für weitere Fortschritte seien aber noch Anpassungen in einem neuen Krebsstatistikgesetz notwendig, die auch den modernen Möglichkeiten gemäß E-Health zur Datenerfassung und-meldung Rechnung tragen. Eine solche Neufassung des Krebsstatistikgesetzes sollte laut Arrouas im Bälde zur Verfügung stehen. Für Jäger wird das System derzeit personell ausgehungert und gleichzeitig zu wenig dafür getan, die Ressourcen richtig einzusetzen. Arrouas hielt fest, dass durch ein gemeinsames Vorgehen von Bund, Ländern und Sozialversicherung die Fraktionierung des Systems und die Grenzen der Sektoren überwunden werden sollen.

Mona Knotek-Roggenbauer, MSc, Präsidentin der Patientenvertretung Europa Donna Austria, sprach die unterschiedliche Qualität in der Versorgung an und wünscht sich für die Zukunft eine Qualitätsabsicherung. Krebspatienten sollen, wenn Spitalsinfrastruktur oder Kompetenzgrenzen dies nahelegen, an Krebszentren weiter verwiesen oder Experten von dort zugezogen werden.

Jäger hatte am Ende der ersten Diskussionsrunde direkte Worte, was die Wahrnehmung von Expertise innerhalb Österreichs betrifft: „Es ist in Österreich kaum bekannt, dass wir als MUW in der Championsleague spielen. Hier setzt uns leider die österreichische Mentalität oftmals Grenzen, genauso auch Föderalismus und Lokalkaisertum.“

Im zweiten Panel präsentierte zu Beginn Mag. Romana Ruda, Leiterin des österreichischen Brustkrebs-Früherkennungsprogrammes in der WGKK, unter anderem die ersten Evaluierungsergebnisse zum BKPF. Sie zeigte, dass es eine gewisse Zeit dauert, bis Screening Programme breit angenommen werden und sie ihre Wirkung zeigen. „Wichtig ist dabei auch eine ausreichende Kommunikation, die allerdings anfänglich unterschätzt wurde. Der Wechsel vom opportunistischen zum organisierten Screening war in der Bevölkerung bei Start des Programms zu wenig bekannt“, so Ruda. Sie appellierte daran, ausreichend Budgets für Öffentlichkeitsarbeit bereit zu stellen. Auch die Rolle der Medien nahm Ruda ins Visier und sagte, dass eine negative Berichterstattung Unsicherheit schaffe, was dem Erfolg solcher Programme nicht zuträglich sei.

Die zweite Podiumsrunde bestritten neben Ruda der Patientenanwalt Dr. Gerald Bachinger, MR Dr. Michael Jonas, Präsident der Ärztekammer Vorarlberg, Univ. Prof. Dr. Anita Rieder von der MUW sowie Prim. Univ.-Doz. Dr. Werner Weiss, Facharzt für Innere Medizin und Additivfacharzt für Gastroenterologie und Hepatologie sowie Mitglied der ÖGHO.

Die Diskutanten sprachen unter anderem über die Festlegung der Zielgruppe für eine Vorsorgeuntersuchung. Dazu sagt Rieder, sie sei sehr froh, dass nun auch über 70 jährige in Screenings, wie dem Mammographie-Screening, mit einbezogen werden. Es sei aber eine große Herausforderung zu kommunizieren, bis wohin der Nutzen die Nachteile überwiege. Die Entscheidung müsse, so Rieder, jedenfalls individuell getroffen werden. International gäbe es von wissenschaftlichen Fachgesellschaften entsprechende Empfehlungen für Krebsscreenings. Patientenanwalt Bachinger plädierte für eine offene Diskussion hinsichtlich des Ressourceneinsatzes und einer Nutzenabwägung von Therapien. „Das ist heikel, aber es muss diskutiert werden dürfen“, so Bachinger. Weiss sprach die Schwierigkeit an, Grenzen zu ziehen, für welche Bevölkerungsgruppen eine bestimmte Behandlung finanziert wird und für welche nicht. Auch er sagte, dass der Arzt diese Entscheidung im jeweiligen Fall gemeinsam mit dem Patienten zu treffen habe.

Weiss sprach zudem darüber, wie bedeutsam Vorsorge gerade beim Dickdarmkarzinom sei. Dieser Tumor ist der zweithäufigste in Europa und der einzige, bei dem Betroffene zehn Jahre Zeit haben, um mittels Vorsorgekoloskopie Vorstufen entfernen zu lassen. „Die Werbung für diese Vorsorgemöglichkeit wird ausschließlich durch Spenden finanziert. Die Qualitätssicherung findet zudem, anders als etwa in Deutschland, nur auf freiwilliger Basis statt – da haben wir in Österreich Verbesserungspotenzial“, so Weiss.

Das dritte und letzte Panel widmete sich der Frage „Präzisionsmedizin – Fiktion oder absehbare Realität?“. Dr. Johannes Zuber, MD, Group Leader am Institut für Molekulare Pathologie, erläuterte in seiner Keynote die Ansätze, Erwartungen und Hoffnungen hinsichtlich der zielgerichteten Krebstherapie, die in den letzten Jahren bahnbrechende Erfolge erzielte: „Die Komplexität von Krebs ist die größte Herausforderung. Es ist eine Krankheit, die mit dem Organismus kommuniziert.“ Zwar kann die zielgerichtete Krebstherapie noch nicht in allen Krebsentitäten die Erfolge feiern, die sie verspricht, doch sie erreicht auch Verbesserungen bei Erkrankungen wie beispielsweise dem metastasierten schwarzen Hautkrebs, der lange Zeit als unheilbar galt.

Auch in der Medikamentenentwicklung, die stark von der pharmazeutischen Industrie getrieben wird, stellen sich Erfolge nur langsam ein und beanspruchen bis zum finalen Produkt zehn Jahre Forschungsdauer und rund 1 Milliarde Euro. „Die Zukunft der Krebsbehandlung ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Politik, Akademia und Pharma müssen die Anforderungen gemeinsam stemmen“, betont Zuber.

In der abschließenden Podiumsdiskussion äußerten sich Univ.-Prof. Dr. Gabriela Kornek, Ärztliche Direktorin des AKH Wien, Prof. Dr. med. Eugen B. Hug, Medizinischer Direktor Med Austron und Dr. Tobias Eichhorn, Leiter des Pfizer Oncology Cluster gemeinsam mit Keynote-Speaker Dr. Zuber zur Struktur von Studien und zur dafür notwendigen Finanzierung. Kornek sprach sich für eine kleinere Patientenzahl aus, um schneller an Daten aus der klinischen Prüfung zu gelangen. Die Sicherheit der Studienteilnehmer habe jedenfalls auch da oberste Priorität. Die derzeitigen starren Systeme, die für klinische Prüfungen gelten, sollten laut Hug aufgebrochen und ein pragmatischer Zugang gewählt werden. Bezüglich neuer und notwendiger Modelle in der Kostenerstattung berichtete Eichhorn von indikationsspezifischen Pricing-Modellen und von der Herausforderung einer praktikablen Vergütung von zukünftigen Kombinationstherapien, für die Fälle, in denen die betreffenden Kombinationspartner von unterschiedlichen Pharmafirmen entwickelt und vertrieben werden.

Damit innovative Therapien und Arzneimittel überhaupt geschaffen werden, sind Investitionen in Forschung und Entwicklung erforderlich. Diese können nicht ausschließlich, so Hug, von der Industrie getragen werden. Laut Zuber erfolgt die Anpassung der Forschungsgelder im öffentlichen Sektor nur „träge“. <

Prof. Dr. Robin Rumler, Präsident der Pharmig Academy, fasste zum Schluss die Quintessenz des Symposiums zusammen: „Um die Krebsversorgung zukünftig zu gewährleisten und laufend zu verbessern, brauchen wir feste Ziele für unser Land. Es müssen alle Partner im Gesundheitswesen mit einer Stimme sprechen, miteinander kommunizieren und Transparenz walten lassen, um gemeinsam die Herausforderung Krebs zu meistern“.

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