Pharmig-Generalversammlung bot Bühne für Diskussion darüber, wie Patientennutzen im Gesundheitswesen maximiert werden kann.
Wien, 27. April 2018 – „Patient im Out oder im Mittelpunkt?“, zu dieser Frage nahmen im Rahmen der Diskussion bei der diesjährigen Pharmig-Generalversammlung Pharmakologe Ernst Agneter, Bundesministerin Beate Hartinger-Klein, Onkologe Ulrich Jäger, Gesundheitsökonom Ernest Pichlbauer und Patientenvertreter Claas Röhl Stellung. Im Zuge seiner Begrüßung sprach Pharmig-Präsident Martin Munte davon, dass Arzneimittelinnovationen jedenfalls einen wesentlichen Beitrag zum Patientennutzen leisten würden. Allerdings gäbe es in Österreich eine Angst vor Innovationen. „Die pharmazeutische Industrie will ihren Beitrag für eine bessere Versorgung leisten und tut das auch mit ihren innovativen Produkten. Sie ist ein starker Partner, wenn es darum geht, das Gesundheitswesen im Sinne der Patienten weiterzuentwickeln“, so Munte.
Ministerin Hartinger-Klein hielt eine Keynote, in der sie betonte, dass die Zusammenarbeit das um und auf sei, um Patientennutzen zu schaffen. Es gehe nicht nebeneinander, nicht gegeneinander, sondern nur miteinander, so Hartinger-Klein. Im Gesundheitswesen sei zentral, den Patienten, den Versicherten in den Mittelpunkt zu stellen. Oft stünden dagegen vielmehr Finanzierungsströme im Zentrum und es fehle der Blick auf die Patientenbedürfnisse. Die Finanzierung aus einer Hand sei jedenfalls ein Ziel, wo es auch konkrete Ansätze gäbe, etwa im Rahmen der Landes-Zielsteuerungsverträge. Darüber hinaus sprach die Ministerin vom Leuchtturmprojekt Digitalisierung. Die Telemedizin oder auch die E-Medikation könnten die Zusammenarbeit im Gesundheitswesen effektiver gestalten, etwa zwischen Ärzten und Apothekern.
Auch auf das Thema Prävention kam Hartinger-Klein zu sprechen. Diese sei ihr ein großes Anliegen, das sie weitertreiben wolle. Digitalisierung könne darin unterstützen, Gesundheitsinformationen vor allem auch an Jugendliche heranzutragen, damit diese ihrer Gesundheit mehr Aufmerksamkeit schenken. Insgesamt gäbe es in Sachen Reformen große Herausforderungen. Hartinger-Klein wolle diese jedenfalls im Sinne der Patienten umsetzen und sprach sich gegen Angstmache aus.
In der folgenden Diskussion stellte Moderator Michael Köttritsch (Die Presse) die Frage: „Patienten wollen vor allem eines, länger leben. Wie kann man bei all den unterschiedlichen Interessen, die es im Gesundheitswesen gibt, sicherstellen, dass der Patient auch wirklich im Mittelpunkt steht?“. Ernest Pichlbauer zeigte dazu einführend eine Grafik über die Mittelflüsse im Gesundheitswesen auf. „Den Wegen der Geldströme zu folgen, ist sehr komplex“, so Pichlbauer. Es gäbe extrem viel Verwaltung, was auch Jäger aus Sicht des Krankenhausarztes bestätigte. Die verschiedenen Verrechnungssysteme würden Ineffizienzen schaffen, so Jäger. Ernst Pichlbauer führte aus, dass die Idee der Primärversorgung bereits seit 100 Jahren existiere, dass Österreich aber kein Land der Prozessinnovationen sei, weshalb hier auch bis dato noch sehr wenig passiert sei.
Pharmakologe Ernst Agneter führte vor Augen, dass die meisten Medienberichte über das Gesundheitswesen von dessen Finanzierung handeln und nur zum geringen Teil auch tatsächlich den Patienten thematisieren würden. Die Finanzierung sei Mittel zum Zweck. Worüber es aber wirklich gehe, sei, wie es garantiert werden könne, dass der Patient die Therapie am Letztstand der Wissenschaft bekommt. Das System der Finanzierung und der Organisation hinke den Innovationen hinterher, was in der Natur der Sache liege. Es passiere sehr viel in der Entwicklung neuer Therapien, doch leider werden dabei auch Bedrohungsszenarien gezeichnet, was die Finanzierung betreffe. Dabei seien das aber im Grunde vielmehr Chancenszenarien. Schon seit langem rede man von Kostenexplosionen, die aber nie stattgefunden hätten, so Agneter.
Angesprochen auf das gesundheitspolitisches Ziel von wegen Patientennutzen sagte Hartinger-Klein, sie wolle die Anzahl an gesunden Lebensjahren erhöhen. Dafür müsse aber beim gesamten Gesundheitssystem angesetzt werden. Wenn es darum gehe, welcher Patient speziell in der Krebsbehandlung welche Therapien bekomme, so sei es laut Hartinger-Klein wichtig, hier entsprechende Gremien einzusetzen, die auch in einem ethischen Diskurs zu Entscheidungen kommen, und zwar mit einer entsprechenden Transparenz. Ulrich Jäger hatte davor die Bedeutung von Tumorboards für die Entscheidungsfindung bei Therapien angesprochen. Er unterstützte die Aussage der Ministerin und betonte gleichzeitig, dass die akademische Forschung in dieses System eingebaut werden müsse. Studien tragen dazu bei, dass Arzneimittelausgaben eingespart werden könnten, daher sei es wichtig, den Wert klinischer Forschung zu erhöhen.
Claas Röhl als Stimme der Patienten sagte, dass Patientenvertretungen eine aktive Rolle im Forschungs- und Entwicklungsprozess von Arzneimitteln spielen müssen. Der Forschungsbedarf sei besonders im Bereich der seltenen Erkrankungen enorm. Hier gäbe es gerade in Österreich viel zu tun, um Expertisezentren aufzubauen. Dies gehe nur, wenn alle Stakeholder, die akademische Forschung, die pharmazeutische Industrie, die Patienten und die Regulierungsbehörden zusammenarbeiten. Patienten können aufgrund ihrer Erfahrung einen wichtigen Beitrag auch dort leisten, wo es darum geht, in welchen Indikationen geforscht werden sollte.
Der Patientennutzen könne laut Röhl nur gemeinsam mit dem Patienten erhoben werden. Es passiere noch zu selten, dass in der klinischen Forschung dies beachtet werde, sagte Röhl. Onkologe Ulrich Jäger betonte aber, dass man hier zuerst einmal die in Österreich sehr große Skepsis abbauen müsse, was die Teilnahme an klinischen Studien betreffe. In Dänemark sei dies völlig anders. Dort würde man proaktiv an den Arzt herantreten und fragen, welche Chancen es für Patienten in der Forschung gäbe. Jäger appellierte an die Gesundheitsministerin, dass sie gemeinsam mit dem Wissenschaftsministerium für mehr Aufklärung in der Bevölkerung sorgen könnte. Patientenvertreter Claas Röhl brachte es schließlich klar auf den Punkt: „Es gibt keine bessere Investition als in die Gesundheit der Menschen.“
Der effektive Schutz vor Nachahmung, den das Patentrecht gewährt, ist in der Arzneimittelentwicklung kürzer als in anderen Branchen. Dazu Munte: „Die Anmeldung eines Patentes muss sehr früh erfolgen, wo noch lange nicht absehbar ist, ob der Wirkstoff, an dem geforscht wird, auch wirklich als neues Arzneimittel auf den Markt kommen wird. Diese Entwicklung dauert durchschnittlich zwölf Jahre. Das reduziert den effektiven Patentschutz auf acht von 20 Jahren.“ Daher ist ein starker Patentschutz gerade in diesem Bereich so wichtig. „Letztlich kommt ein solcher Patentschutz den Patienten zu Gute, nämlich wenn bestehende Therapien weiter verbessert oder neue entwickelt werden. Das setzt voraus, dass Unternehmen auch eine Sicherheit haben, wenn sie die hohen Risiken, die die Arzneimittelentwicklung birgt, eingehen“, sagt Munte.