Überarbeitung einer EU-Verordnung muss Risiken in der Therapieentwicklung Rechnung tragen. Ebenso muss die Arbeit von Expertisezentren nicht zuletzt auch finanzielle Anerkennung erfahren.
Wien, 28. Februar 2023 – Zwar gibt es für etwa fünf Prozent der insgesamt ca. 6.000 seltenen Erkrankungen mittlerweile medikamentöse Behandlungsoptionen, doch diese konnten nur mit hohem Aufwand und Risiko entwickelt werden. Eine im Jahr 2000 eingeführte EU-Verordnung über Arzneimittel für seltene Erkrankungen wird derzeit überarbeitet. Die neuen Regelungen müssen so gestaltet sein, dass die Entwicklungsarbeit, etwa durch Anreize, weiterhin gefördert und nicht durch zu restriktive Vorgaben eingeschränkt wird. Ebenso sollte die Arbeit der Expertisezentren in das nationale Sozialversicherungssystem eingebettet werden, damit die dort erbrachten Leistungen auch entsprechend vergütet werden.
Dazu erklärt Alexander Herzog, Generalsekretär der PHARMIG, anlässlich des heute stattfindenden Welttags der seltenen Erkrankungen: „Die geringen Patientenpopulationen machen die Forschung und Entwicklung im Bereich seltener Erkrankungen besonders herausfordernd. Die Unternehmen, die sich in der Therapieentwicklung engagieren, sind dabei doppelt gefordert: einerseits wegen des sehr hohen Risikos, dass Forschungs- und Entwicklungsprojekte scheitern, andererseits wegen des limitierten Umsatzes aufgrund der geringen Anzahl an Betroffenen. Um weiterhin und mit möglichst hohem Tempo wissenschaftliche Erkenntnisse in Therapien zu verwandeln, sind daher umsichtige politische Entscheidungen, nachhaltige Investitionen und klare Förderrichtlinien notwendig. Denn nur, wenn es die Rahmenbedingungen zulassen, kann die Forschungsgeschwindigkeit erhöht werden, damit in Zukunft noch mehr Betroffene behandelt werden können.“
Ein wichtiger Booster war die im Jahr 2000 eingeführte EU-Verordnung über Arzneimittel für seltene Erkrankungen. Sie brachte wichtige Förderungen bzw. Unterstützungen in der Erforschung und Entwicklung von Therapien zur Behandlung von seltenen Erkrankungen. Zusammen mit dem unablässigen Engagement der Forschenden hat diese Verordnung dazu beigetragen, dass dieser Bereich heute zu einem der fortschrittlichsten in der medizinischen Forschung zählt.
Derzeit gibt es mehr als 200 Therapien für seltene Krankheiten und etwa 1.800 neue Produkte in verschiedenen Entwicklungsstadien. Erst kürzlich hat die Europäische Arzneimittelagentur EMA in ihrem jährlichen Bericht Highlights der Humanarzneimittel 2022 insgesamt 21 Medikamente für seltene Erkrankungen hervorgehoben, die im Jahr 2022 eine Marktzulassung erhalten haben. Darunter befinden sich neue Arzneimittel für seltene Leiden u.a. in den Bereichen Hämatologie, Krebs und Stoffwechselerkrankungen, die das Potenzial haben, Betroffenen erheblich zu helfen und für die es bisher keine anderen zugelassenen Produkte gibt.
„Bei der Überarbeitung der Verordnung ist eines ganz wesentlich: Nämlich, dass es ein Gleichgewicht zwischen den Anreizen für forschende Unternehmen und einem gleichberechtigten Zugang zu den neu entwickelten Therapien gibt. Das eine ist ohne dem anderen nicht möglich. Noch dazu nimmt die Bedeutung Europas als Forschungsstandort im Vergleich mit den USA, aber zunehmend auch mit China ab. Wir brauchen daher jedenfalls positive Signale für die Forschung und die Unternehmen“, ist Herzog überzeugt. So zeigt etwa eine aktuelle Studie, dass der Anteil Europas an der weltweiten Arzneimittelforschung und -entwicklung in den letzten 20 Jahren bereits um ein Viertel geschrumpft ist.
Aus Sicht der forschenden pharmazeutischen Industrie sind die Lösungen, um rascher mehr Therapien zu entwickeln, vor allem auch in Vernetzungen und Partnerschaften zu finden. Dazu gehört es, öffentliche und private Partner zusammenzubringen, wie es etwa die Initiative "Rare Disease Moonshot" verfolgt.
Wesentliche Beiträge zur Entwicklung neuer Therapien für seltene Erkrankungen leisten zudem die sogenannten Expertisezentren. Diese europaweit auf 24 definierte Krankheitsgruppen spezialisierten klinischen Einrichtungen bilden zusammen die Europäischen Referenznetzwerke. Das sind insgesamt über 900 hoch spezialisierte Abteilungen aus über 300 Krankenhäusern in 26 Mitgliedstaaten. Sie ermöglichen durch gegenseitigen Austausch, Fallbesprechungen und die Bündelung von Wissen neue Standards und Guidelines, um Therapien bei seltenen Erkrankungen zu erforschen, weiterzuentwickeln und die medizinische Versorgung zu verbessern.
Damit Expertisezentren ihren Nutzen für Patientinnen und Patienten vollends entfalten können, ist laut Expertinnen und Experten jedoch noch eine entsprechende Einbettung dieser oft interdisziplinären und spezifischen Leistungen in das nationale Sozialversicherungssystem notwendig. Einen Einblick in die genaue Tätigkeit, Verantwortung und Aktivitäten eines Expertisezentrums zeigt dieser Beitrag der PHARMIG-Videoserie Rare Diseases Insights mit Frau Priv. Doz. Dr. Sylvia Boesch, Koordinatorin des österreichischen Expertisezentrums für seltene Bewegungsstörungen Innsbruck.
Einen Überblick zu den österreichischen Expertisezentren und den europäischen Referenznetzwerken finden Sie hier:
https://www.gesundheit.gv.at/krankheiten/seltene-krankheiten/zentren-seltene-erkrankungen.html
https://health.ec.europa.eu/european-reference-networks/networks_de
https://www.orpha.net/consor/cgi-bin/Clinics_ERN.php?lng=DE
Rückfragehinweis
PHARMIG – Verband der pharmazeutischen Industrie Österreichs
Head of Communications & PR
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