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Seltene Erkrankungen: Expertisezentren als essenzielle Basis in der Versorgung

Um seltene Erkrankungen noch schneller und besser zu erkennen und zu behandeln, müssen Expertisezentren gestärkt werden.

Wien, 7. November 2023 – Expertisezentren leisten als hochspezialisierte klinische Einrichtungen einen essenziellen Beitrag zur Behandlung von Betroffenen von seltenen Erkrankungen. Sie fungieren als überregionale, zentrale Anlaufstellen für definierte Gruppen seltener Erkrankungen. Europaweit eng miteinander vernetzt, teilen sie untereinander das erforderliche Wissen über seltene Erkrankungen und darauf basierende Behandlungserfahrungen. Sollen Betroffene noch schneller zu dieser hoch spezialisierten und umfassenden Versorgung kommen, müssen diese Zentren weiter gestärkt werden. Wie das gelingen kann, wurde beim 14. Rare Diseases Dialogs der PHARMIG ACADEMY besprochen.

Hannelore Ebner, eine über 80-jährige Patientin, die an der seltenen Stoffwechselkrankheit Morbus Gaucher leidet, berichtet, wie es Jahrzehnte dauerte, bis ihre Erkrankung endlich diagnostiziert und behandelt wurde. „Die Schwierigkeit lag nicht nur in der späten Diagnose, sondern es fehlten auch danach noch Informationen, um schneller an entsprechende Experten zu gelangen und die seit Jahren bereits verfügbare notwendige Therapie zu erhalten. Diese Verzögerungen sollten in der heutigen Zeit nicht mehr vorkommen. Dazu gibt es nun die Expertisezentren, damit Informationen über Erkrankungen verknüpft und Ärztinnen und Ärzte besser informiert werden können.“

 „Seltene Erkrankungen betreffen in Summe eine große Gruppe von Menschen, die mit vielfältigen Herausforderungen konfrontiert sind. Die gute umfassende Versorgung Betroffener ist dem Bundesministerium ein wichtiges Anliegen. Genau hier setzt der Nationale Aktionsplan Seltene Erkrankungen an“, führt Mag. Dr. Christina Dietscher, Leiterin, Abteilung für nicht übertragbare Erkrankungen, psychische Gesundheit und Altersmedizin im Bundesministerium für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz (BMSGPK), aus.

Bei der Umsetzung dieses nationalen Aktionsplans steht die Designation von Expertisezentren im Vordergrund. Dementsprechend wurden auch in den vergangenen Jahren einige als solche designiert. Das BMSGPK fokussiert darauf, diese Zentren weiter auszubauen und sie an die europäischen Referenznetzwerke für Seltene Erkrankungen anzubinden. „Eine wichtige Maßnahme ist dabei auch die Einführung einer einheitlichen Codierung Seltener Erkrankungen und diesbezüglich erbrachter Leistungen. Dies erfolgt mittels sogenannter ‚ORPHAcodes‘. Damit können eine bessere Planung und Evaluierung der Versorgung von Patientinnen und Patienten gewährleistet werden“, erklärt Dietscher.

„Die Teilnahme im europäischen Referenznetzwerk für seltene Erkrankungen über die nationalen Expertisezentren hat weitreichende positive Auswirkungen“, erzählt Ao.Univ.-Prof. Dr. Gabriela Kornek, ärztliche Direktorin am AKH Wien. „Denn sie öffnen die Tür nach Europa. Eine der Herausforderungen bei seltenen Erkrankungen ist es ja, dass es mitunter in einem Land nur sehr wenige Betroffene gibt. Demzufolge ist das Bündeln von grenzüberschreitendem Know-how über Krankheiten und Therapieoptionen hier besonders wichtig.“ Eine wesentliche Aufgabe der Expertisezentren sieht Kornek daher auch in der überregionalen Versorgung. Um hier auch zukünftig mehr Patientenorientierung und Qualitätsverbesserungen erzielen zu können, ist die Erhebung von Patient Reported Outcome Measures (PROMs) wichtig, sprich den von Patientinnten und Patienten subjektiv wahrgenommenen Gesundheitszustand im Verlauf oder nach einer Behandlung mess- und auswertbar zu machen.

„Die bessere Sichtbarmachung der Expertisezentren für seltene Erkrankungen ist für den niedergelassenen Bereich und Betroffene mit unklaren Erkrankungen essenziell, um frühzeitig zuweisen und den Patienten gezielte Diagnostik und entsprechende Therapien anbieten zu können“ erklärt Univ. Prof. Dr. Susanne Greber-Platzer, MBA, Leiterin der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendheilkunde der MUW. „Diese Zentren bieten ein interdisziplinäres Betreuungskonzept für seltene Erkrankungen. Es gilt daher, diese zu stärken und sichtbarer zu machen. Als erster Schritt notwendig wäre die Aufnahme in die Versorgungsstruktur des Österreichischen Strukturplan Gesundheit (ÖSG).“ Die internationale Vernetzung der Spezialistinnen und Spezialisten in diesen Zentren erlaubt einen intensiven Austausch, die Anwendung neuester Therapiemöglichkeiten und eine Verlaufsbeobachtung für jede seltene Erkrankung. Basis dafür ist entsprechend qualifiziertes Gesundheitspersonal, das sich besonders in diesem Fachgebiet etabliert hat.

„Für die umfassende Betreuung über Jahre beziehungsweise Jahrzehnte benötigt es ein Team an ärztlichen Spezialistinnen und Spezialisten, eigens geschultes Pflegepersonal, klinisch psychologische Betreuung sowie sozialarbeiterische und therapeutische Unterstützung, die den Patientinnen und Patienten sowie Familien hinsichtlich ihrer Erkrankung Know-how und Sicherheit vermitteln können“, führt Greber-Platzer aus. Das gehe aber nur, wenn die Finanzierung dieser speziellen Leistungen sichergestellt ist.

 „Gerade wenn es für seltene Erkrankungen keine Therapie gibt, ist die psychische Belastung besonders hoch,“ stellt Andreas Huss, MBA, Obmann der Österreichischen Gesundheitskasse klar. Man müsse daher auch die psychosozialen Versorgungszentren ausbauen. Vor allem Case Management, also die individualisierte Begleitung durch das Gesundheitssystem, könnte zu einer rechtzeitigen Überweisung an die entsprechenden Expertisezentren beitragen. Parallel dazu sei es laut Huss erforderlich, eine öffentliche wie einheitliche Finanzierung zu stärken, damit Therapien auch für seltene Erkrankungen verfügbar sind.

Zeit ist ein wichtiger Faktor: „Wir erleben, dass Patientinnen und Patienten, die von seltenen Erkrankungen betroffen sind, oft erst Jahre nach ersten Symptomen zu einer Diagnosestellung kommen. Eine wesentliche Aufgabe in der Primärversorgung ist, aus der Vielzahl eher harmloser Erkrankungen jene mit einer hohen Gefahr für eine deutliche Gesundheitsbeeinträchtigung herauszufiltern. Bei unklaren Symptomen sollten Hausärztinnen und Hausärzte auch an seltene Erkrankungen denken, dazu ist zum Beispiel über Fortbildungen eine höhere Sensibilisierung notwendig“, erklärt Dr. Erwin Rebhandl, Arzt für Allgemeinmedizin und Universitätslektor an der Johannes-Kepler-Universität Linz. Laut Rebhandl können Datenbanken wie www.symptomsuche.at oder auch digitale Tools in der täglichen Praxis eine große Hilfe sein, um Betroffene rascher zu diagnostizieren, sie an ein spezialisiertes Zentrum zu überwiesen und letztlich auch die wohnortnahe Primärversorgung dauerhaft in Kooperation mit spezialisierten Zentren zu unterstützen.

Dass es notwendig ist, die Infrastruktur besser auszubauen, betont auch Claas Röhl, Patientenvertreter und Vorstandsmitglied von Pro Rare Austria: l: „Menschen mit seltenen Erkrankungen in Österreich brauchen unbedingt gut aufgestellte und finanziell abgesicherte Expertisezentren, die sich der Erforschung und Versorgung von seltenen Erkrankungen, aber auch dem Teilen dieses Wissens widmen. Expertisezentren nehmen auch eine Schlüsselrolle bei der nationalen Koordinierung der Patientenströme und dem Festlegen von Behandlungs- und Versorgungsstandards ein.“ Demnach sei laut Röhl ein ganz wesentliches Kriterium bei der Ernennung von Expertisezentren, die Patientenorganisationen in die Planung und Durchführung aller Aktivitäten einzubinden.

Der Rare Diseases Dialog der PHARMIG ACADEMY, moderiert von Mag. Tarek Leitner, fand am 6. November als Hybridveranstaltung in der Urania Wien statt.

Rückfragehinweis:
PHARMIG – Verband der pharmazeutischen Industrie Österreichs
Head of Communications & PR
Peter Richter, BA MA MBA
+43 664 8860 5264
peter.richter@pharmig.at
pharmig.at

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