Experten diskutierten im Rahmen des 6. Rare Diseases Dialogs der Pharmig Academy über den Beitrag systematisch gesammelter Daten für die Patientenversorgung.
Wien, 23. Oktober 2019 – Die Daten, die in Forschungsregistern zusammengetragen werden, tragen dazu bei, Erkenntnisse über Krankheiten und ihre Verbreitung zu gewinnen. Sie beantworten epidemiologische Fragen, etwa wie viele Patientinnen und Patienten an einer bestimmten Erkrankung leiden und geben Auskünfte über Krankheitsverläufe sowie Risikofaktoren. Register bieten zudem, neben klinischen Studien, neue Perspektiven für die Arzneimittelentwicklung. So kann die Qualität von Arzneimitteln verbessert, ihre Entwicklung beschleunigt und können Patientinnen und Patienten mit seltenen Erkrankungen schneller behandelt werden.
Gleichzeitig werfen Forschungsregister Fragen auf, wie etwa: Welche Daten werden erhoben? Wer darf und soll diese Register führen? Wer soll Einblick haben? Wem gehören die ermittelten Daten eigentlich? Darüber diskutierten, nach einer einleitenden Keynote von Dr. Simona Martin von der Generaldirektion Gemeinsame Forschungsstelle der Europäischen Kommission und moderiert von Mag. Tarek Leitner (ORF), folgende Gesundheitsexperten: Priv.-Doz. Dr. Mag. Stefan Kähler, Pharmig Standing Committee Klinische Forschung und Executive Director II für Global Drug Safety & Risk Management bei Celgene Europe, Univ. Prof. Dr. Ruth Ladenstein, MBA, cPM, Leiterin der Abteilung für Studien & Statistik S²IRP der St. Anna Kinderkrebsforschung, Oberärztin am St. Anna Kinderspital und Geschäftsführerin von OKIDS, OÄ Dr. Karin Schmid-Scherzer, Leiterin des Kompetenzzentrums für Alpha1-Antitrypsin-Mangel am Wiener Wilhelminenspital, Assoc.-Prof. Priv.-Doz. Dr. Till Voigtländer, Leiter des nationalen Büros zur Umsetzung und Weiterführung des Nationalen Aktionsplans für seltene Erkrankungen und Ing. Günther Wanke, Leiter der Selbsthilfegruppe „Lungenfibrose Forum Austria“ und Patientenvertreter für interstitielle Lungenerkrankungen in Österreich.
In der Europäischen Union leben mehr als 30 Millionen Menschen mit einer von 6.000 seltenen Erkrankung. Die Forschungsstelle der EU-Kommission hat daher in Zusammenarbeit mit der Generaldirektion für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit die „European Platform on Rare Disease Registration“ eingerichtet, um die in Hunderten europäischen, nationalen und lokalen Forschungsregistern verteilten Daten über Patientinnen und Patienten mit seltenen Erkrankungen zusammenzuführen. Dazu sagt Simona Martin in ihrer Keynote: „Aufgrund des hohen Bedarfs an Daten und Wissen im Bereich seltener Erkrankungen wurden in den letzten Jahren Register in regional unterschiedlicher Ausprägung gebildet. Jetzt geht es darum, dieses Wissen zusammen zu führen, damit wir jene kritische Masse entwickeln, die für die weitere Erforschung seltener Erkrankungen notwendig ist.“ Die EU-Plattform wird die Daten der Register auf EU-Ebene abrufbar machen und die Datenerfassung und den Datenaustausch standardisieren, was den Wert jedes Registers und seiner Registrierung erhöhen wird.
Patientenvertreter Wanke lobt in diesem Zusammenhang den hohen Nutzen der Forschungsregister für Patientinnen und Patienten, betont aber auch die Wichtigkeit von Transparenz und Kommunikation beim Verwertungsprozess: „Register haben die Aufgabe, valides Wissen zur Krankheit zum Verlauf der Diagnose und Therapie bereitzustellen. Patientinnen und Patienten stellen ihre Daten zur Verfügung und ermöglichen damit den Aufbau von Registern und die Entwicklung von Medikamenten. Aber Patientinnen und Patienten möchten wissen, was mit den Daten passiert und wer Zugang zu den Registern hat. Darüber hinaus möchten wir wissen wer Einblick nehmen kann und auch selbst die Möglichkeit dazu erhalten.“
Stefan Kähler vom Pharmig-Standing Committee Klinische Forschung stellt in diesem Zusammenhang klar, dass die pharmazeutische Industrie keine personenbezogenen, sondern krankheitsbezogene Daten verwendet: „Forschungsregister sammeln Anwendungsdaten über die Krankheit, ihren Verlauf, über Diagnose und Therapie. Für die Arzneimittelentwicklung spielen solche Real World-Daten, eine wichtige Rolle.“ Kähler hält fest, dass die angewendeten Verschlüsselungsmechanismen keine Rückschlüsse auf ein Individuum zulassen. Die Erkenntnisse aus Forschungsregistern, die über den gesamten Lebenszyklus eines Arzneimittels reichen, unterstützen die Arbeit der pharmazeutischen Industrie insbesondere im Bereich der seltenen Erkrankungen, um letztlich Schritt für Schritt mehr Patienten eine maßgeschneiderte Therapie oder Medikation verfügbar zu machen.
Damit Forschungsregister einheitlich umgesetzt werden können, müssen sie entsprechende Charakteristika aufweisen. Gesundheitsexperte Till Voigtländer erklärt hierzu: „Register sollten möglichst einfach und wenig komplex geführt werden, um die Verwendbarkeit der Daten zu gewährleisten. Weniger ist hier eindeutig mehr, sowohl auf nationaler als auch auf internationaler Ebene. Für die hohe Qualität der Daten braucht es personelle und IT-Ressourcen. Register können nicht nebenbei geführt werden, sondern sind lebendige Systeme und stellen eine verantwortungsvolle Aufgabe dar. Österreich sollte sich dazu bereit erklären, hierfür entsprechende Ressourcen frei zu machen und zu bündeln. Ohne Einsatz geht es nicht.“
Dass Engagement bei der Führung eines Forschungsregisters im Vordergrund steht, beteuert auch Karin Schmid-Scherzer vom Wiener Wilhelminenspital: „Seit über zehn Jahren betreue ich Menschen mit seltenen Erkrankungen. Zu Beginn habe ich an einem internationalen Register teilgenommen, schlussendlich aber mit Unterstützung der pharmazeutischen Industrie ein eigenständiges nationales Register in Österreich aufgebaut. Gerade bei seltenen Erkrankungen ist das ‚Werkzeug‘ Register eine gute Möglichkeit, Informationen über eine Krankheit zu sammeln und daraus neue Erkenntnisse für die Patientinnen und Patienten zu gewinnen.“
Register werden heute oft von engagierten Einzelpersonen oder medizinischen Fachgesellschaften betrieben. Ihre Finanzierung und Nachhaltigkeit bleiben dabei ungesichert. Die St. Anna Kinderkrebsforschung koordiniert das Europäisches Referenz Netzwerk (ERN) für kindliche Krebserkrankungen unter der Leitung von Ruth Ladenstein. Über die Verantwortung und Finanzierung von Registern sagt Ladenstein: „Existierende Datensammlungen müssen datenschutzkonform vereinheitlicht und in weiterer Folge besser genutzt werden, um international Nutzen stiften zu können. Dafür hat die Europäische Gesetzgebung die Voraussetzungen geschaffen. Spezifische Leitlinien und die Vereinbarung von Mindestdatensätzen helfen, ihre Qualität zu erhöhen.“ Für die Finanzierung von Forschungsregistern baut sie u. a. auf Private-Public-Partnerships oder andere innovative Finanzierungsmodelle.
Das Fazit des 6. Rare Diseases Dialogs lautet: Forschungsregister und strukturierte Datenvielfalt stiften hohen Nutzen für die Gesellschaft. Sie unterstützen maßgeblich den Erkenntnisgewinn über Diagnose, Verlauf, Risikofaktoren sowie die weitere Entwicklung von Therapien bei seltenen Erkrankungen. Österreich muss sich hier entsprechend einbringen und engagieren, damit in klaren Strukturen, auf Basis einheitlicher Qualitätsstandards auch künftig datenschutzkonforme Forschungsregister betrieben und die Daten auch auf europäischer Ebene verwendet werden können. Forschungsregister sind derart aufgebaut, dass die Datenhoheit beim Patienten liegt und die gesammelten, krankheitsbezogenen Daten ohne Rückschlussmöglichkeiten auf die Person verschlüsselt werden.
Ein kurzer Film zum 6. Rare Diseases Dialog der Pharmig Academy und Fotos der Veranstaltung sind hier abrufbar.
Rückfragehinweis
Pharmig – Verband der pharmazeutischen Industrie Österreichs
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