Wien, 8. November 2018 – Weltweit steigt die Resistenz von Krankheitserregern gegenüber Antiinfektiva, also Medikamenten, die zur Heilung von Infektionen bei Mensch und Tier eingesetzt werden. Die mit Abstand größte Gefahr sind Antibiotikaresistenzen: Wenn Bakterien durch Antibiotika nicht abgetötet werden können, verliert die Medizin eine ihrer stärksten Waffen gegen eine Vielzahl von weit verbreiteten und potenziell tödlichen Infektionserkrankungen.
Die WHO hatte schon 1998 auf diese Gefahr hingewiesen und 2015 einen globalen Aktionsplan beschlossen, dem viele nationale gefolgt sind. Selbst in der Abschlusserklärung des G7-Gipfels 2015 bekennt man sich zur Bekämpfung von Antibiotikaresistenzen – schließlich stellen diese auch eine volkswirtschaftliche Herausforderung dar.
Im Rahmen der Initiative Arznei & Vernunft (A&V) haben nun namhafte Experten die Antiinfektiva-Leitlinie für Ärzte und Apotheker sowie die entsprechende Patienteninformation auf Basis aktuellster wissenschaftlicher Erkenntnisse komplett neu überarbeitet. Beides ist unter www.arzneiundvernunft.at abrufbar, die Patienteninformation liegt auch in Arztpraxen und Apotheken auf.
„Eine Aktualisierung der A&V-Leitlinie zu diesem Thema war angesichts neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse dringend notwendig“, sagte der Leiter der Expertengruppe Arznei & Vernunft, Univ.-Prof. Dr. Ernst Singer. „Wir haben bei dieser Leitlinie besonders darauf geachtet, dass sie im Praxisalltag gut einsetzbar ist. Schließlich stellen Infektionen im ambulanten Bereich eine der häufigsten Krankheitsformen sowohl bei Kindern als auch bei Erwachsenen dar.“ Die Empfehlungen basieren auf aktuellen Studienergebnissen und internationalen Leitlinien und geben einen Überblick über die Resistenz-Situation in Österreich sowie über moderne Diagnose- und Therapiemethoden. „Patienteninformation und Leitlinie sind wie gewohnt auf der A&V-Homepage kostenlos downloadbar. Die Leitlinie ist so aufgebaut, dass man gezielt und effizient nach kompakten Basis- oder vertiefenden Spezialinformationen suchen kann.““
„Die erfreuliche Nachricht ist, dass in Österreich die Gesamtmenge an verbrauchten Antibiotika pro Einwohner im europäischen Vergleich sehr niedrig ist. Entsprechend niedrig sind auch die Resistenzraten“, erklärte Dr. Alexander Biach, Verbandsvorsitzender des Hauptverbandes der österreichischen Sozialversicherungsträger. „Antibiotika werden in Österreich jedoch im Winter überdurchschnittlich häufig verschrieben. In anderen Ländern wie Dänemark, Schweden oder Norwegen sind derartige saisonale Schwankungen kaum zu finden. Im Jahr 2017 lag die Verordnungszahl im ersten Quartal um 16 % über dem Gesamtjahresdurchschnitt der letzten drei Jahre, im dritten Quartal hingegen 19 % darunter. Besonders stark ausgeprägt waren diese Unterschiede bei Kindern im Alter bis zu 14 Jahren. Hier lag die Verordnungszahl im ersten Quartal um 23 % über dem Durchschnitt, im dritten Quartal um 37 % unter diesem“, so Biach weiter. „Mit der vorliegenden Neuauflage der Antiinfektiva-Patientenbroschüre und -Leitlinie ist uns gemeinsam wieder eine wirklich gute, pragmatische Informationsgrundlage gelungen.“
„Die Erforschung neuer Antibiotika ist extrem aufwändig und risikoreich wie kaum eine andere: nicht einmal ein Prozent aller Forschungsansätze schafft es bis zum Markt“, sagte der Präsident des Verbands der pharmazeutischen Industrie Österreichs, Pharmig, Mag. Martin Munte. „Umso größer ist die Hoffnung, dass die zehn neuen Antibiotika, die derzeit weltweit in späten Phasen der klinischen Forschung stehen, erfolgreich sein mögen. Erfreulich ist, dass auch an 13 klinischen bakteriellen Impfstoffkandidaten, an 18 Diagnostika für die Feststellung einer eventuell bereits vorhandenen Antibiotikaresistenz oder auch an präventiven Therapien geforscht wird. Jedenfalls müssen wir vor allem am richtigen Einsatz der vorhandenen Therapien arbeiten, damit Resistenzen nicht noch weiter voranschreiten. Als zentral erachte ich hier eine bessere Vernetzung des niedergelassenen mit dem Spitalsbereich. Das Thema der Antibiotikaresistenzen lässt sich nur gemeinsam managen.“
Der Präsident der Österreichischen Ärztekammer (ÖÄK), a.o. Univ.-Prof. Dr. Thomas Szekeres, betonte, es müsse vor allem darum gehen, dass Infektionen erst gar nicht ausbrechen. Vorbeugung sei daher eine der wirkungsvollsten Waffen gegen Antiinfektiva-Resistenzen. Allen voran spielten Impfungen eine immens wichtige Rolle. Allein durch höhere Durchimpfungsraten würde es weniger Infektionen geben und es müssten weniger antibiotische oder antivirale Medikamente eingesetzt werden. „Dessen ungeachtet sind Antibiotika bei vielen Erkrankungen ein wahrer Segen“, erklärte der Präsident der Österreichischen Ärztekammer. Deshalb sei es wichtig, sie korrekt anzuwenden, um die Entwicklung von Resistenzen einzudämmen. „Ich bin sicher, dass die neue Leitlinie und auch das demnächst verfügbare e-Learning für Ärztinnen und Ärzte sowie der Patienten-Informationsfolder eine gute Unterstützung sind.“
„In der Beratung von Kunden und Patienten durch Apothekerinnen und Apotheker zeigt sich, dass die genaue Einnahme von Antibiotika oft nochmals erklärt werden muss“, sagte die Präsidentin der Österreichischen Apothekerkammer, Mag. pharm. Dr. Ulrike Mursch-Edlmayr. „Das ist im Hinblick auf mögliche Neben- bzw. Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten oder Nahrungsergänzungsmitteln besonders wichtig. Dabei wird uns auch die flächendeckende Einführung der e-Medikation bis Jahresende 2019 unterstützen, da wir dadurch alle vom Patienten verwendeten Arzneimittel überblicken können. Mit unserer täglichen Beratungsleistung und der neuen Patientenbroschüre, die in allen 1.400 Apotheken österreichweit aufliegt, leisten wir einen wesentlichen Beitrag zu einer Verbesserung des Therapieerfolges. Der niederschwellige Zugang ermöglicht uns Apothekerinnen und Apothekern, den Umgang mit Antiinfektiva zu thematisieren und die für die Patienten notwendigen Schritte einzuleiten“, so Mursch-Edlmayer.
Die Initiative „Arznei & Vernunft“ ist ein gemeinsames Projekt von: Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger, Pharmig, Österreichischer Ärztekammer und Österreichischer Apothekerkammer. Ziel der Initiative ist ein vernünftiger Umgang mit Arzneimitteln. Alle Informationen zur Initiative unter www.arzneiundvernunft.at.
Fotos des Pressegesprächs: APA-Fotoservice Galerie
Credit: Pharmig/APA Fotoservice/Arman Rastegar