Geplanter Gesetzesvorschlag will Engpässe bei Medikamenten bekämpfen und die Medikamentenproduktion in der EU ankurbeln. Gute Ansätze, aber auch kritische Inhalte.
Wien, 12. März 2025 – Mit dem gestern veröffentlichen „Critical Medicines Act“ will die EU-Kommission gegen Engpässe bei essenziellen Medikamenten gegensteuern. Ebenso sollen mehr Arzneimittel in Europa hergestellt werden. PHARMIG-Generalsekretär Alexander Herzog kann dem Gesetzesvorschlag einiges abgewinnen, sieht manche Aspekte aber auch kritisch: „Nach anfänglichen Lippenbekenntnissen sehen wir nun seit einiger Zeit endlich konkrete Maßnahmen auf politischer Ebene, mit denen die Lieferketten im Medikamentensektor gestärkt und die Produktionskapazitäten in Europa erhöht werden sollen. Besonders wichtig ist dabei, dass endlich auch die Preisthematik in Angriff genommen wird. Hier agieren die Unternehmen des Generikasektors oftmals knapp an der Unwirtschaftlichkeit. Daher ist es gut, wenn es hier ein Umdenken gibt und erkannt wird, dass vor allem auch der Preis die Verfügbarkeit eines Arzneimittels beeinflussen kann. Es ist fatal, wenn Medikamente als Billigware gesehen werden und das einzige Ziel ist, ihre Preise immer weiter nach unten zu drücken. Insofern kann die geplante Verordnung tatsächlich viel Positives bewirken, ist aber in manchen Punkten auch kritisch zu sehen.“
Der Gesetzesvorschlag sieht Anreize für die Produktion von Arzneimitteln und deren Inhaltsstoffen vor. In der Folge will man für diese Produzenten dann notwendige Verwaltungs- und Regulierungsverfahren erleichtern. Ebenso soll es hierfür finanzielle Unterstützung geben. Neu ist dies insofern, als öffentliche Gelder bislang nur für sogenannte „first-of-its-kind“-Projekte gewährt wurden, wodurch viele Hersteller auch von kritischen Medikamenten nicht davon profitieren konnten.
Anreize in dieser Richtung sind wichtig, denn erstens sind 70 % der in Europa abgegebenen Medikamente Generika, sprich Nachbauten von Originalen, und zweitens wird weit mehr als die Hälfte der in der EU verfügbaren Generika (zwischen 60 und 80 %) in China oder Indien produziert.
Auch die Diversifizierung und damit eine Erhöhung der Anzahl von Lieferanten ist eine wichtige Maßnahme, die der „Critical Medicines Act“ adressiert. Hier zeigt beispielsweise eine Aufstellung des europäischen Generika-Dachverbandes „Medicines for Europe“, dass es bei knapp der Hälfte (46 %) der kritischen Generika, die von Lieferverzögerungen bzw. -engpässen betroffen sind, nur einen einzigen Lieferanten gibt. Lediglich bei einem Fünftel, also 20 %, gibt es mehr als drei Zulieferer. Dazu sagt Alexander Herzog: „Diese Konzentration ist ungesund und eine Folge des permanenten Preisdrucks auf Arzneimittel, bei denen der Patentschutz abgelaufen ist bzw. auf deren Nachbauten. Es ist höchst an der Zeit, dass hier endlich gegengesteuert und darauf geachtet wird, dass die Medikamentenproduktion attraktiver wird und dass sich mehr Unternehmen darin engagieren, und zwar hier bei uns, in Europa, wo die Herstellung von Medikamenten einfach mehr kostet als in Asien.“
Umstritten ist, ob neue Kriterien bei der öffentlichen Beschaffung von Arzneimitteln ihr Ziel erreichen. So ist beabsichtigt, dass Länder zukünftig für die Beschaffung von essenziellen Medikamenten Kriterien festlegen, die nicht nur den Preis heranziehen, sondern auch Faktoren wie die Anzahl an Lieferanten, die der Anbieter vorweisen kann, eine Bevorratungsverpflichtung und andere Leistungsklauseln. Ebenso ist eine gemeinsame Beschaffung kritisch zu sehen, zumal die Gesundheitssysteme mit ihren jeweiligen Preis- und Erstattungsregelungen höchst unterschiedlich sind. Außerdem kann ein gemeinsamer Einkauf über Länder hinweg erst recht wieder zu einer Konzentration führen.
Dass nationale Vorratslager im Kampf gegen Engpässe nicht die Lösung schlechthin sind, zeigt sich einmal mehr auch im „Critical Medicines Act“, denn entgegen der anfänglichen Tendenz findet sich das Thema der Bevorratung in den EU-Ländern kaum noch im Text, und wenn, dann mit dem Hinweis darauf, dass eine solche nicht dazu führen darf, dass es in anderen Ländern erst recht zu Versorgungsproblemen kommt. Alexander Herzog dazu: „Wir haben immer betont, dass bevorzugt EU-weite Maßnahmen gesetzt werden, anstatt nationaler Alleingänge. Denn Engpässe sind kein länderspezifisches Problem, sondern ein globales, das eben auch nur länderübergreifend gelöst werden kann.“
Die Maßnahmen des „Critical Medicines Act“ sollen nicht in nationale Gesundheitssysteme eingreifen, sondern sie vielmehr ergänzen. Mit dem nun vorliegenden Vorschlag startet der Gesetzgebungsprozess, in dem sich die verschiedene EU-Institutionen mit diesem Vorschlag befassen. Wann der „Critical Medicines Act“ endgültig als EU-Verordnung vorliegen wird, ist noch nicht abzusehen.
Rückfragehinweis
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