Experten diskutierten im ORF RadioKulturhaus Ansätze zur Lebensverlängerung.
Wien, 31. Mai 2016 – Wie können wir ein hohes Alter und dieses auch möglichst gesund erreichen? Experten aus dem universitären und medizinischen Bereich, flankiert von der vor Kurzem als „Lifetime Ikone“ betitelten Prof. Lotte Tobisch-Labotýn, gingen dieser Frage gestern, Montagabend auf den Grund. Die von Ö1-Radiodoktor Dr. Christoph Leprich geleitete Podiumsdiskussion im ORF-RadioKulturhaus fand im Rahmen der 20-Jahr-Feier von Arznei & Vernunft statt, einer europaweit einzigartigen Initiative zum vernünftigen Umgang mit Arzneimitteln, ins Leben gerufen von: Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger, Pharmig – Verband der pharmazeutischen Industrie Österreichs, Österreichischer Ärztekammer und Österreichischer Apothekerkammer.
Rezepte gegen Zellalterung, eine bessere Behandlung degenerativer Erkrankungen des Gehirns, wie etwa Alzheimer oder Morbus Parkinson, die Analyse der DNA-Reparaturmechanismen – das sind Ansätze in der Medizin, die dazu beitragen sollen, den Alterungsprozess zu verzögern und die behinderungsfreie Lebenszeit zu verlängern. Demografische Modellrechnungen würden nahelegen, dass der erlebte hundertste Geburtstag immer wahrscheinlicher sei, so Dr. Leprich zu Beginn der Veranstaltung. Doch auch die Auswirkungen des Lebensstils sind in Betracht zu ziehen, wenn es darum geht, nicht die Lebensdauer, sondern vor allem die Zahl der gesunden Lebensjahre zu erhöhen.
Prof. Dr. Johannes Grillari vom Institut für Biotechnologie an der Universität für Bodenkultur Wien führte ins Thema ein, indem er vom Unterschied zwischen dem chronologischen und dem biologischen Alter sprach. Das eine sei, so der Forscher, das zählbare Alter, das andere ein genereller, progressiver Funktionsverlust der Körperorgane. Grillari geht davon aus, dass gealterte Zellen einen großen Anteil an diesem Funktionsverlust haben. Dagegen gibt es auch nicht alternde Organismen, wie bei einzelnen Tieren. Scholle oder Hummer etwa altern ohne Verlust der Körperfunktionen. Generell aber gehe es ihm nicht um eine Lebensverlängerung, sondern darum, dass Menschen auch im Alter gesund bleiben: „Wir wissen, dass dieser Prozess individuell verschieden ist und wir suchen individuelle Rezepte, die gesundes Altern ermöglichen.“
Auf den Einzelaspekt wies auch Priv.-Doz. Dr. Karin Schindler von der Medizinischen Universität Wien hin, und zwar was Ernährung und Bewegung betrifft. Sie führte eine Studie durch, bei der sich zeigte, dass sich entsprechende Programme, die Betreuungs- oder auch Besuchspersonen gemeinsam mit den Älteren vereinbaren, positiv auf Ernährungsstatus, körperliche Leistungsfähigkeit und damit auf deren Wohlbefinden und Lebensqualität auswirken. So habe sich konkret etwa bei einzelnen Menschen die Sturzangst verringert, wodurch sie wieder motiviert waren, aus dem Haus zu gehen. „Zeit und Anteilnahme, die alten Menschen von anderen geschenkt werden, sind daher sehr wertvoll“, so Schindler.
Prof. Lotte Tobisch-Labotýn brachte es auf den Punkt, wie man am besten altert und lieh sich dafür ein Zitat bei Voltaire aus: „Weil es der Gesundheit zuträglich ist, habe ich beschlossen, glücklich zu sein.“ Sie sieht Ernährungsgewohnheiten bereits früh anerzogen: „Der Fresser ist nicht angeboren, sondern anerzogen.“ Nicht, dass man hungern solle, aber Kinder würden daran gewöhnt werden, ununterbrochen etwas zu essen, ohne ihr Hungergefühl wahrzunehmen. Das schlage sich natürlich auf deren Gesundheit nieder. Tobisch-Labotýn verwies aber auch auf den psychischen Aspekt, der nicht zu unterschätzen sei. Vor allem alte Menschen litten oft an der „Einsamkeit in der Masse“. Es sei daher wichtig, Menschen so lange wie möglich in ihrer gewohnten Umgebung leben zu lassen.
Angesprochen auf die „Hotspots der Altersforschung“ sagte Prof. Grillari: „Wir sehen in verschiedenen Modellen, dass, wenn die DNA-Reparaturmechanismen schlecht funktionieren, vorzeitige Alterungsprozesse eintreten.“ Hier sei es interessant, die genetische Komponente den Umwelteinflüssen gegenüberzustellen und sich unter diesem Aspekt mit den Reparatursystemen des menschlichen Körpers zu beschäftigen. Moderator Dr. Leprich führte in diesem Zusammenhang an, dass lediglich 20 bis 30 Prozent der Alterungsprozesse genetisch festgelegt seien.
Auch Dr. Karin Schindler sowie Prof. Dr. Regina Roller-Wirnsberger, die an der Medizinischen Universität Graz im Bereich der Geriatrie forscht, betonten, wie wichtig ein gesamthafter Blick sei. Dazu Roller-Wirnsberger: „Geht man davon aus, dass der Alterungsprozess etwas Gegebenes ist, bleibt die Frage wovor wir uns fürchten. Es sind vielfach Limitierungen wie Krankheiten, Schmerzen, geriatrische Syndrome, die zu einer Einschränkung der individuellen Lebensqualität führen. Dazu kommen soziale Faktoren wie Armut und Einsamkeit. Die Suche nach einer Behandlung, reduziert auf einen einzigen Mechanismus, ist daher nicht zielführend.“
Im Sinne dieses generellen Zugangs zum Thema „Gesundes Altern“ erläuterte Dr. Schindler, dass es beispielsweise bei der Ernährung nicht um irgendwelche Diäten gehe, sondern darum, zu realisieren, dass „das permanente Essen in unserer ‚To go‘-Gesellschaft nicht gut für uns ist. Das heißt aber nicht, von einem lustvollen Lebensstil Abschied zu nehmen.“
Diesen Ball griff Prof. Dr. Ernst Singer, Vorsitzender der „Arznei & Vernunft“-Expertengruppe, auf und verwies auf die Bedeutung der Initiative „Arznei & Vernunft“: „Wir beschäftigen uns mit großen gesellschaftlichen Erkrankungen und deren Vorbeugung. Bei Diabetes beispielsweise ist dies die Änderung des Lebensstils. Bei COPD erreicht man 80 % des therapeutischen Erfolges, wenn man mit dem Rauchen aufhört. Das zeigt, dass es neben einer medikamentösen Therapie gleichermaßen auch Vernunft braucht.“
Den Rahmen für die Veranstaltung bildete die Initiative „Arznei & Vernunft“, die heuer ihr 20-jähriges Bestehen feiert. Träger der Initiative sind der Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger, die Pharmig sowie die Österreichische Ärztekammer und die Österreichische Apothekerkammer. Ergebnisse dieser Zusammenarbeit sind Leitlinien, die medizinischen Fachkreisen als Orientierung dienen sollen. Weiters klären Patientenbroschüren über das jeweilige Krankheitsbild und Präventionsmaßnahmen auf. Die Publikationen sind auf www.arzneiundvernunft.at abrufbar.
Fotos zur Veranstaltung finden Sie hier (Bildnachweis: Markus Prantl)