Vor der Durchführung von klinischen Prüfungen am Menschen müssen sogenannte präklinische Studien durchgeführt werden (im Labor bzw. im Tierversuch). Präklinische Forschungen liefern erste Hinweise zum Wirkmechanismus, zur Verträglichkeit und Dosierung eines neuen Wirkstoffs. Nur wenn keine gefährlichen Nebenwirkungen auftreten und das Präparat voraussichtlich wirksam sein kann, wird eine klinische Prüfung am Menschen durchgeführt.
Arzneimittelforschung & Entwicklung
Die Lebenserwartung steigt. Patient:innen, für die es früher keine Hoffnung gab, können heute trotz Krankheit ein fast normales Leben führen oder sogar dauerhaft geheilt werden. Medikamente ersetzen aufwendige Operationen. Erkrankte werden schneller geheilt.
Möglich ist das, weil die pharmazeutische Industrie Jahr für Jahr viele Milliarden in die Erforschung und Entwicklung neuer Medikamente investiert. Die Branche ist damit ein wichtiger Treiber des medizinischen Fortschritts. Zugleich gehört sie zu den mit Abstand forschungsintensivsten Wirtschaftszweigen.
Von der Substanz zum Arzneimittel
Der Weg vom Wirkstoff bis zum fertigen Arzneimittel ist langwierig und kostspielig. Von 5.000 bis 10.000 Substanzen, die in die Arzneimittelforschung kommen, erweisen sich nach fünf Jahren durchschnittlich nur mehr 9 Substanzen als aussichtsreich. Nach Präklinik und umfangreichen klinischen Prüfungen bleibt meist nur eine einzige dieser Substanzen übrig, die schließlich als neue medikamentöse Therapie zugelassen wird. Im Durchschnitt nimmt die Entwicklung eines Arzneimittels 13 Jahre in Anspruch.
Untersuchungen zufolge liegen die durchschnittlichen Kosten der Entwicklung eines neuen innovativen Medikamentes bei bis zu 2,6 Milliarden US-Dollar. In diesen Kosten sind die direkten Kosten für die Entwicklung des Arzneimittels enthalten sowie die damit verbundenen vielen Fehlschläge, aber auch die Opportunitätskosten; das heißt die indirekten Finanzierungskosten für derart lange und kostenintensive Entwicklungsprojekte. Kostentreiber sind unter anderem hohe Dokumentations- und Sicherheitsanforderungen, der grundsätzlich steigende Behandlungsstandard, der sich auch im Studiendesign wiederfinden muss sowie die notwendige, große Anzahl an Studienteilnehmenden.
Innovativ für Patient:innen
Vom pharmazeutischen Fortschritt profitieren die Patient:innen in Österreich: In den letzten fünf Jahren wurden insgesamt 201 Arzneimittel mit neuem Wirkstoff (New Active Substance) in Österreich zugelassen. Im Schnitt stehen pro Jahr 40 neue Behandlungsmöglichkeiten zur Verfügung. (Quelle: BASG 2023)
Die Investitionen der Arzneimittelindustrie in Forschung und Entwicklung schlagen sich seit Jahren in der Zulassungsstatistik nieder: Kontinuierlich kommen innovative Medikamente auf den Markt. Neuzlassungen dienen der Behandlung von Krebs, Infektionskrankheiten, Erkrankungen des zentralen Nervensystems, des Herz-Kreislauf-Systems oder Entzündungskrankheiten.
Neue Substanzen nach Regionen
- 2023 wurden 77 neuen Humanarzenimittel von der EMA zur Zulassung empfohlen;
- 39 davon enthalten neuen Wirkstoffe („New active Substance“);
Pharma-Branche – stark in der Forschung
Im Bereich Forschung und Entwicklung liegt die Gesundheitsindustrie (Pharma-, Biotech- und Medizintechnik-Industrie) hinter der Informations- und Kommunikationstechnik-Branche auf Rang 2: 261,4 Milliarden Euro wurden 2022 in Forschung und Entwicklung investiert; das entspricht 23,4 % des Umsatzes.
Klinische Forschung: Was ist das
Bevor ein Arzneimittel zugelassen werden kann, muss es auf Wirksamkeit, Nebenwirkungen und Unbedenklichkeit geprüft werden. Bevor es am Menschen ("in der Klinik") getestet wird, werden sogenannte präklinische Studien durchgeführt. Diese liefern erste Hinweise darauf, wie das Medikament genau wirkt (Wirkmechanismus), sowie zur Verträglichkeit und zur Dosierung. Nur wenn diese Tests vielversprechend verlaufen, wird das Medikament in zunehmend umfangreicheren klinischen Studien geprüft.
Medikamentencheck in 4 Phasen
Klinische Forschung bedeutet die Erprobung von Medikamenten und Behandlungsformen am Menschen mittels klinischer Studien in vier Phasen.
Präklinik: Zellmodelle und Tierversuche
Phase I: Pharmakokinetik
In Phase I werden Aufnahme, Verteilung und Ausscheidung eines Wirkstoffes geprüft.
In der Phase I wird der neue Wirkstoffkandidat an gesunden Freiwilligen unter strenger ärztlicher Überwachung erprobt. In einer Reihe von kleineren Studien wird ermittelt, ob das Prüfpräparat sicher beim Menschen angewendet werden kann. In der Phase I werden Informationen über die allgemeine Verträglichkeit, von der Aufnahme bis hin zur Ausscheidung des Wirkstoffs, gesammelt. Ist vom Wirkstoff zu erwarten, dass er auch toxische Eigenschaften besitzt (wie z. B. bei einigen Substanzen, die im Bereich onkologischer Erkrankungen angewendet werden), werden bereits in der Phase I ausschließlich Patient:innen mit der entsprechenden Erkrankung in die Prüfung einbezogen.
Grundlage für die Sicherheit von Phase I Studien ist eine Risikoanalyse, um Hochrisikoprodukte einzustufen und entsprechende Maßnahmen zu setzen. Dabei darf (seit 2007) nicht mehreren Proband:innen gleichzeitig die neue Substanz verabreicht werden. Zudem muss für jeden einzelnen Studienteilnehmenden ein engmaschiges, diagnostisches Monitoring gewährleistet sein und eine intensiv-medizinische Notfallversorgung bereitstehen.
Phase II: Dosisfindung
Dosisfindung und Überprüfung der Verträglichkeit
Jetzt wird der Wirkstoff an Patient:innen getestet. In der Phase werden daher bereits eingehende Informationen darüber gewonnen, ob und in welcher Dosierung die Prüfsubstanz wirkt. Die klinisch Forschenden erhalten ein genaueres Bild von der Verträglichkeit im kranken Organismus.
In der Regel wird in dieser Phase das Medikament mit einer Kontrollsubstanz ohne Wirkung („Placebo“) verglichen. Um die Erkenntnisse möglichst objektiv zu halten und eine Beeinflussung etwa durch Erwartungen von Ärztinnen und Ärzten und Patient:innen zu vermeiden, sind diese Studien meist auch „doppelt verblindet“ – weder Ärztinnen und Ärzte noch Patient:innen wissen, wem das Prüfmedikament verabreicht wird und wer das Placebo erhält.
Phase III: Nachweis der therapeutischen Wirksamkeit
Der neue Wirkstoff wird an einer großen Zahl an Patient:innen getestet. Je nach der Krankheit, für die das Medikament entwickelt wird, nehmen in dieser Phase mehrere hundert, teilweise mehrere tausend Patient:innen an einer Studie teil. Um die große Patientenanzahl zu erreichen, werden Phase III-Studien in der Regel in mehreren Ländern gleichzeitig durchgeführt. Gerade bei chronischen, fortschreitenden Erkrankungen wie Krebs kann es mehrere Jahre dauern, bis alle Patient:innen behandelt und die Behandlungsdaten aus allen Behandlungszentren ausgewertet sind. Auch bei Phase III-Studien ist es die Regel, dass sie „placebo-kontrolliert“ und „doppelblind“ durchgeführt werden.
Sehr oft findet in den einzelnen Prüfungsphasen nicht nur eine Studie statt. Wenn die Phase III der klinischen Entwicklung abgeschlossen ist, kann bei den Arzneimittelbehörden ein Antrag auf Zulassung des Medikaments eingereicht werden.
Phase IV: Klinische Untersuchungen nach der Zulassung
Immer häufiger werden nach der Zulassung weitere klinische Prüfungen durchgeführt. Die Behörde kann ein Medikament mit der Auflage zulassen, dass nach der Zulassung in sogenannten „Phase IV-Studien“ weiterhin Daten zu Wirksamkeit und Verträglichkeit erhoben werden. Ein Grund für dieses Vorgehen ist oft, dass dadurch für Patient:innen mit schweren, fortschreitenden Erkrankungen dringend benötigte Medikamente schneller zur Verfügung stehen. Für diese Studien gelten die gleichen gesetzlichen Bestimmungen wie für die Phasen I bis III.
Wer genehmigt klinische Prüfungen?
Jede klinische Prüfung muss von der zuständigen Behörde (in Österreich das BASG - Bundesamt für Sicherheit im Gesundheitswesen) und einer multidisziplinär zusammengesetzten unabhängigen Ethikkommission genehmigt werden. Dort wird der Studienplan geprüft. Erst wenn beide Seiten zustimmen, kann die Studie beginnen. Von der Antragstellung an werden in der EU alle klinischen Prüfungen von Phase I bis Phase IV in der europäischen, öffentlich zugänglichen Studiendatenbank EudraCT registriert.
Innovation für die Gesundheit Österreichs
Klinische Forschung kann Heilungschancen und Lebensqualität verbessern und sichert zudem den medizinischen Fortschritt durch neue Therapien und bessere Verträglichkeit. Als Studienteilnehmende erhalten die Patient:innen frühen Zugang zu neuen, modernen Medikamenten. Gleichzeitig werden sie von Ärzten und Fachpersonal intensiv medizinisch betreut. Darüber hinaus bringt Forschung eine finanzielle Entlastung des Gesundheitssystems durch kostenfreie Therapien im Rahmen der klinischen Studienprojekte.
Sehen Sie hier, warum klinischen Prüfungen in der Arzneimittelentwicklung so bedeutsam sind:
Klinische Forschung in Österreich
In den letzten Jahren wurden in der EU/im EWR ungefähr 4.400 klinische Prüfungen jährlich beantragt, knapp 300 in Österreich. Insgesamt war die Anzahl von Anträgen für klinische Prüfungen in Österreich in den Jahren 2007–2011 innerhalb von Schwankungsbreiten konstant.
Seit dem Jahr 2012 ist jedoch ein deutlicher Rückgang zu erkennen. Nach dem Tiefpunkt im Jahr 2017 wurden in den letzten Jahren erfreulicherweise wieder mehr Anträge gestellt. Sowohl kommerzielle als auch akademische Anträge nehmen wieder zu.
Hohes Engagement der heimischen Pharmaindustrie
Im EU-Schnitt werden rund 80 % der klinischen Prüfungen von der pharmazeutischen Industrie durchgeführt (Industrie-gesponsert); 20 % von akademischen Wissenschaftler:innen (akademisch gesponsert). Mit einem Anteil von 23,9 % liegt Österreich etwas über diesem Wert.
Industrie-gesponserte Klinische Forschung in Österreich
Klinische Prüfungen laufen nach deren Genehmigung oft über mehrere Jahre. Ein Überblick zu den Leistungen der pharmazeutischen Industrie lässt sich daher am besten in der Anzahl der fortlaufenden klinischen Prüfungen (laufende, begonnene und beendete klinische Prüfungen) pro Jahr nach vorgegebenen Indikationsgebieten sowie mit der Anzahl der Patient:innen, die daran aktiv teilgenommen haben, darstellen.
Folgende Daten werden über eine jährliche Umfrage der PHARMIG bei ihren Mitgliedsunternehmen erhoben.
Anzahl der beantragten klinischen Prüfungen nach Phasen in Österreich
Anzahl laufender klinischer Prüfungen nach Phasen in AT
Darüber hinaus wurden durch die Unterstützung der pharmazeutischen Industrie jährlich durchschnittlich 129 "Investigator Initiated Trials", d.h. akademisch gesponserte Forschungsprojekte, in den Jahren 2020-2022 ermöglicht.
Verteilung der Studienteilnehmer:innen in laufenden klinischer Prüfungen nach Phasen in AT
Anzahl klinischer Prüfungen nach den am stärksten beforschten Indikationen
Die überwiegende Anzahl klinischer Prüfungen werden im Bereich Onkologie durchgeführt. Danach folgen im 5-Jahres-Verlauf klinische Prüfungen im Bereich der Hämatologie und zu Autoimmunerkrankungen.
Die durchschnittliche Summe von ca. 482 klinischen Prüfungen pro Jahr in den letzten drei Jahren beinhaltet laufende, begonnene und beendete Prüfungen.
Anzahl der Studienteilnehmer:innen in klinischen Prüfungen nach Indikationen mit den durchschnittlich meisten Teilnehmenden
Rund 4.399 Studienteilnehmer:innen haben in den letzten drei Jahren durchschnittlich an klinischen Prüfungen in Österreich teilgenommen.
(Angaben zur Anzahl der Studienteilnehmer:innen zu durchschnittlich 80 % der klinischen Prüfungen erfolgt.)
Patentschutz
Innovative Arzneimittel genießen (wie alle anderen Güter auch) einen Patentschutz von 20 Jahren. Allerdings müssen Arzneimittel schon in einem vergleichsweise sehr frühen Entwicklungsstadium als geistiges Eigentum des Erfinders patentiert werden. Zwischen Patentierung und Verfügbarkeit für Patienten vergehen im Durchschnitt 12 Jahre, die für Präklinik, klinische Prüfung und Zulassung als Arzneispezialität benötigt werden. Dadurch ergibt sich im Schnitt eine tatsächliche Patentnutzungsdauer von nicht einmal 8 Jahren.
Zur Verlängerung des Patentschutzes kann der Patentinhaber einen zusätzlichen Schutz (Supplementary Protection Certificate, SPC) für seine Erfindung beantragen. Das SPC gewährt eine Verlängerung der Patentlaufzeit um bis zu 5 Jahre.